Bürgerliches Pingpong: Von der Platte gefallen
Halbzeit in der Legislatur – doch eigentlich könnte man schon abpfeifen. In den vergangenen zwei Jahren haben Bundesrat und Parlament eine Agenda verfolgt, die an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeizielte. Zwei weitere Jahre voller rechten Unfugs werden folgen, bis mit den Parlamentswahlen am 24. Oktober 2027 endlich Schluss damit sein könnte.
Das Stimmungsbild ist katastrophal. Nie war das Vertrauen in Regierung und Parlament geringer als aktuell: Nur noch gerade ein Drittel der Befragten äusserten sich in einer Umfrage des «Tages-Anzeigers» von Anfang Monat zufrieden mit der Arbeit der wichtigsten politischen Institutionen des Landes. Die Vertrauenskrise wurde von der Zeitung so gedeutet, dass die Schweizer Politik nicht vom Fleck komme in einer Welt, die sich immer schneller drehe. Als Beispiel dafür diente die Aufrüstung der Armee, die angeblich viel zu gemächlich erfolge. Dabei wäre auch ein anderer Grund für die Unzufriedenheit vorstellbar: dass sich die politische Schweiz nicht zu langsam dreht – sondern in die falsche Richtung.
Genügend Hinweise dafür gäbe es. Um fehlendes Vertrauen festzustellen, braucht es ja keine Umfrage, dazu reichen die Abstimmungssonntage der letzten zwei Jahre. Zuvorderst der wahrhaft historische Erfolg zur 13. AHV-Rente, einer linken Volksinitiative, die den Sozialstaat ausbaute. Bis heute wird die Zustimmung dazu oftmals bewusst negativ interpretiert: als Egoismus der Senior:innen. Es ist genau umgekehrt. In der Zustimmung spiegelt sich eine Schweiz, in der man zu seinen Nachbar:innen schaut.
Wie sehr der linke Erfolg die Rechte schmerzt, zeigt indes das Trauerspiel um die Finanzierung der 13. AHV-Rente. Gesichert ist diese vorerst wohl nur bis Ende 2030. Die künstlich erzeugte Instabilität der Altersvorsorge soll unbeliebte Ideen zur Rentenaltererhöhung in der Debatte halten, obwohl es dafür in der Bevölkerung kaum Mehrheiten gibt.
Ähnlich verhält es sich auch beim Autobahnausbau. Vor gut einem Jahr sagte die Schweiz bekanntlich Nein dazu. Trotzdem holte Verkehrsminister Albert Rösti vor zwei Wochen einige der abgelehnten Ausbauprojekte wieder aus der Schublade und verkündete feierlich: «Der politische Prozess hat heute begonnen.» Dabei war der Prozess gerade noch definitiv vorbei. Wer soll diesem Bundesrat vertrauen?
Das Misstrauen ist längst gegenseitig. Die bürgerliche Mehrheit in Parlament und Bundesrat scheut Abstimmungen, wo Niederlagen drohen. Nirgends deutlicher wird das als bei der Aufrüstung, wo die milliardenschweren neuen Ausgaben an der Stimmbevölkerung vorbei beschlossen werden. Besonders fragwürdig ist das beim bestellten Kampfjet F-35, der viel teurer wird als versprochen. Kaum vorstellbar, dass dieses Geschäft in einer Volksabstimmung bestehen würde.
Entfremdet von der realen Schweiz, verschanzt sich das bürgerliche Establishment in den eigenen Echokammern. Mit dabei sind die vermeintlichen Leitmedien, mit denen man sich die falschen Analysen der Wirklichkeit wie beim Rundlauf im Pingpong hin und her spielt. Bis der Ball von der Platte fällt.
Wie etwa vergangenes Wochenende im Berner Wankdorf, wo sich die FDP zu ihrem Parteitag traf. Zentrales Thema: das Verhältnis der Schweiz zur EU (vgl. «Die Wende vom Wankdorf» auf Seite 3). Konkret ging es um die Haltung der Partei zu den neuen bilateralen Abkommen. Monatelang hatte die NZZ als publizistischer Arm der FDP-Leitung gegen die Bilateralen agitiert. Ihr Hebel: die Vorlage dem Ständemehr zu unterstellen, womit konservative Kantone viel mehr Gewicht erhalten würden. «Am Ständemehr führt kein Weg vorbei», drohte die Zeitung, Granden der Partei sahen das ähnlich. Nur um von der Basis überstimmt zu werden.
Wenn die NZZ nicht mal mehr die FDP versteht, dann steht es ernst um die rechte Schweizdeutung. Das sollte man sich in Erinnerung behalten in den kommenden zwei Jahren, in denen es nicht nur um Europa geht, sondern auch um die Zuwanderung oder um die Zukunft der SRG: Die rechte Agenda ist nicht die Agenda der Mehrheit.