Sachbuch: Wer die Welt verändert
Wie verbinden sich Ideen von einer besseren Welt mit dem Kampf auf der Strasse, wie, anders gefragt, entsteht eine soziale Bewegung? Dem geht Annette Ohme-Reinicke in ihrem neuen Buch nach – mit dem Ziel, sich nicht bloss eine konkrete Bewegung vorzunehmen, sondern «das gesamte Phänomen» als einen Erfahrungszusammenhang zu erfassen.
Dafür beginnt die Soziologin bei der Französischen Revolution, Grundlage aller späteren sozialen Bewegungen – «sozial» wird da überhaupt erst zum Kampfbegriff: Auf breiter gesellschaftlicher Ebene werden Gleichberechtigung und politische Teilhabe gefordert, erstmals vereinigen sich Ideen und Theorien von Intellektuellen mit dem Wunsch der Leute nach der Verbesserung ihrer materiellen Bedingungen. Es sind dies auch die Faktoren, die Ohme-Reinicke für künftige soziale Bewegungen ausmacht: eine oft diffuse Unzufriedenheit über die Verhältnisse und Ideen für eine neue Ordnung, eine Befreiung hin zu einer besseren Zukunft und nicht bloss weg von der unerträglichen Gegenwart.
Auf die Französische Revolution folgen laut Ohme-Reinicke die proletarische Bewegung und – analytisch davon getrennt – die Arbeiter:innenbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Letztere mit der Entmachtung der russischen Sowjets durch die Bolschewiki auch als Beispiel dafür, wie soziale Bewegungen nicht nur selbst repressiv werden, sondern auch durch Repression zum Scheitern gebracht werden können. Ab den 1960ern werden es mit der Student:innenbewegung, dem Arabischen Frühling, Occupy, der Klimabewegung (der Feminismus fehlt allerdings) dann viele soziale Bewegungen, Ohme-Reinicke fasst sie erkenntnisreich zusammen und schärft ein normatives Verständnis: Soziale Bewegungen sind emanzipatorisch, sie zielen auf die Befreiung von Unterdrückung und Abhängigkeit ab, weshalb rechte Bewegungen auch nie in diese Kategorie fallen können.
Der Begriff «soziale Bewegung» sei ein theoretischer Albtraum, heisst es in der Einleitung. Dass sich die Autorin trotzdem an die Aufgabe gemacht hat, auf knappem Raum 300 Jahre Bewegungsgeschichte zu bearbeiten, ist ein grosses Verdienst.