Afghanistan: Das neue Engagement der USA: Gefährliche Vermischung

Brunnen graben und Krieg führen: Die neue Strategie des US-Militärs in Afghanistan stösst bei Hilfsorganisationen auf Widerstand.

Unter scharfer Bewachung ist der Konvoi mit den bewaffneten Reservisten der US-Armee im unruhigen Osten Afghanistans unterwegs. Das Team sondiert in den Dörfern und Weilern im Umland der Stadt Gardes. Ihr erklärtes Ziel ist, «Kopf und Herz» der afghanischen Bevölkerung zu gewinnen. Sie graben Brunnen, bauen Schulen, bessern Strassen aus. Und sie erhalten bald Verstärkung: Noch diesen Monat soll der US-Stützpunkt in Gardes zum ersten von acht permanenten «zivil-militärischen Aktionszentren» ausgebaut werden, wie die zuständigen Stellen in den USA Anfang Dezember verlauten liessen. In jedem dieser Zentren sollen bis zu hundert Militärspezialisten, Soldaten und allenfalls Zivilisten stationiert werden. Pläne für solche Zentren, die in Tat und Wahrheit befestigte militärische Lager sein werden, bestehen für alle wichtigen Städte des Landes.

Diese Kehrtwende in der Politik der USA, die sich bis jetzt immer gegen ein kostspieliges ziviles Engagement in Afghanistan ausgesprochen haben, wird von den zuständigen Stellen wie folgt erklärt: Die «zivil-militärische Aktion» solle zur Verbesserung der Sicherheitslage beitragen, die Rückkehr von Taliban- und Al-Kaida-Kämpfern unterbinden, die schwache Zentralregierung stärken und die Arbeit der Hilfswerke erleichtern. Der Grossteil der rund 12000 Mann starken US-Truppen bleibt aber für Kampfhandlungen abgestellt.

Xavier Crombé, Chef der Afghanistan-Mission von Médecins sans frontières Frankreich, sieht noch andere Motive hinter dieser Neuausrichtung. Es sei ein Versuch der USA, an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. «Sie wissen, dass sie bei der Bevölkerung nur wenig Ansehen haben», sagt Crombé. Tatsächlich muss die US-Politik in Afghanistan einen Rückschlag nach dem anderen hinnehmen. Jüngstes Beispiel: Das mit internationalen Geldern finanzierte Trainingsprogramm für die neue afghanische Nationalarmee, eine der Grundlagen für die «Befriedung» des Landes. Von den bisher knapp 3000 ausgebildeten Soldaten sind rund 1600 bereits wieder desertiert. Viele sind nach der Ausbildung zu ihren früheren «Arbeitgebern», den regionalen Warlords, zurückgekehrt. Die in der neuen Armee Verbliebenen gehören hauptsächlich der tadschikischen Minderheit an.

Bei den Hilfswerken und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) in Kabul sind die Pläne der USA auf massive Kritik gestossen. Das NGO-Koordinationsbüro ACBAR (Agency Coordination Body for Afghan Relief) sah sich Anfang Dezember zu einer deutlichen Stellungnahme veranlasst. Die US-Truppen würden ihre Mittel besser zur Friedenssicherung ausserhalb Kabuls, zur Entwaffnung und Verhaftung lokaler Milizenführer nutzen, anstatt sich in einem Feld zu betätigten, für das andere besser gerüstet seien. «Wir machen uns Sorgen, dass die Nutzung von militärischen Strukturen für den Wiederaufbau die Aufmerksamkeit von der sich verschlechternden Sicherheitslage ablenkt.» Das Prinzip der Neutralität, dem sich die NGOs verpflichtet hätten, werde verletzt, und die Hilfswerkmitarbeiter würden einem erhöhten Risiko von Angriffen ausgesetzt, warnt ACBAR. Es werde für die lokale Bevölkerung immer schwieriger, zwischen Soldaten und zivilen Hilfswerkmitarbeitern unterscheiden zu können.

ACBAR weist zudem darauf hin, dass die Tätigkeit eines Hilfswerkmitarbeiters rund zehnmal billiger zu stehen kommt als diejenige eines US-Soldaten. Ausserdem sei das Militär von ganz anderen Beweggründen geleitet als NGOs, die sich bemühten, den wirklich Bedürftigen Hilfe zukommen zu lassen. Das Militär hingegen habe eine politische und sicherheitspolitische Motivation, bemühe sich etwa um das Sammeln von Geheimdienstinformation, um die Stärkung von verbündeten lokalen Machthabern und um Werbung für ihre militärische Strategie. Das Militär solle sich nur in absoluten Notfällen humanitär betätigen, wenn die Logistik und mangelnde Sicherheit keine andere Möglichkeit zuliessen, so die Forderung von ACBAR.

Xavier Crombé ist ebenfalls sehr besorgt. «Die Vermischung von militärischem und humanitärem Engagement bedroht unsere Arbeit ganz direkt.» Deshalb seien seine MitarbeiterInnen nun doppelt so vorsichtig. Aber nicht nur die Angehörigen der Hilfswerke seien bedroht. «Eine Bevölkerung, die von einer Armee unterstützt wird, verliert selbst ihre Neutralität und kann zum Ziel von Angriffen werden. Das ist die Logik und die Gefahr.»