Zweite Petersberg-Konferenz über Afghanistan: Nicht mehr als ein Fototermin

Sicher hat die Konferenz Petersberg 2 noch einmal ein Schlaglicht auf Afghanistan geworfen, bevor sich alle Blicke auf Irak richten. Aber es bleibt dort für die «internationale Gemeinschaft» noch viel zu tun. Wenn sie nur den politischen Willen dafür aufbrächte.

Grosse Worte fielen auf dem Petersberg bei Bonn. Es ginge um nichts Geringeres als «um den Kampf der zivilisierten Welt gegenüber dem internationalen Terrorismus, dem irrationalen Fanatismus und der menschenverachtenden Kriminalität», sagte zum Beispiel der deutsche Aussenminister Joschka Fischer in seiner Begrüssungsansprache. Und der afghanische Präsident Hamid Karsai unterzeichnete ausgerechnet in Deutschland jenes Dekret, das eine afghanische Nationalarmee ins Leben rufen soll.

Beides ist symbolisch. Da beschwört Fischer die «grosse Sache», aber im gleichen Atemzug weigern sich Deutschland, aber auch andere westliche Staaten, die internationale Sicherheitstruppe Isaf über Kabuls Stadtgrenzen hinauszuschicken. Auch neue Zusagen für Aufbauhilfe blieben in Bonn aus. Dabei müssten mit arbeitsintensiven Projekten die waffenfähigen Jahrgänge aus den Milizen der Warlords ins zivile Erwerbsleben zurückgeholt werden. Hier schliesst sich der Teufelskreis: Ohne Arbeitsbeschaffung für Kalaschnikow-Träger keine sinnvolle Demobilisierung, ohne Demobilisierung keine Sicherheit, ohne Sicherheit keine Hilfsgelder. «Investieren in Sicherheit durch Wiederaufbau» müsste die Devise des Westens deshalb lauten.

Dass Karsai nun eine Entscheidung über die Sollstärke (70 000 Soldaten) der künftigen Armee getroffen hat, ist zu begrüssen. Seine internen Widersacher um Verteidigungsminister Kassem Fahim wollten den Westen zwingen, 200 000 Mann zu bezahlen. Aber wie will der Staatschef bewaffnete Gruppen ausserhalb der neuen Armee verbieten, wenn er noch über keine militärischen Mittel verfügt, dies auch durchzusetzen? Werden US-Amerikaner und Briten gegen dieselben Warlords vorgehen, die erst dank ihren Geldern wieder fest im Sattel sitzen?

Es ist auch bezeichnend, dass Karsai das Dekret in Bonn erliess und nicht in Kabul. Dort hält nämlich der eigentlich starke Mann, sein Vize Fahim, buchstäblich seinen Schreibtisch im Präsidentenpalast besetzt und betreibt von dort aus Fraktionspolitik für seine «Pandschiris». Vor ein paar Wochen erst hat er zwei Flugzeugladungen russischer Waffen direkt ins Pandschirtal liefern lassen. Karsai erfuhr davon aus der Zeitung.
Und neues Dekret hin, neues Dekret her: Der Aufbau der nationalen Armee wird auch weiterhin nur im Schneckentempo vorangehen, weil Warlords wie Verteidigungsminister «Marschall» Kassem Fahim ihn sabotieren. Sie fürchten, mit einer nicht mehr fraktionsgebundenen Truppe ihre Machtgrundlage aus der Hand zu geben. Dass der Armeeaufbau wirklich funktioniert, so wie Karsai es ankündigt, verlangt nichts weniger als einen Politikwechsel in Washington. Und wieder die Frage: Existiert der politische Wille dazu?

In Afghanistan selbst sieht es ein Jahr nach der ersten Petersberger Konferenz so aus: Ein Gouverneur verbietet gemeinsame Hochzeitsfeiern von Männern und Frauen, ein anderer macht Videotheken dicht. Gleich ausserhalb Kabuls werden Musiker zusammengeschlagen. Der Oberste Richter befürwortet Amputationsstrafen, der Fernsehchef verbannt singende Frauen vom Bildschirm. Abdullah Wardak von einer prosaudischen Fraktion ist bis heute Minister, obwohl er sich geweigert hatte, das Petersberger Abkommen zu unterzeichnen. Ein unerträglicher Personenkult um den ermordeten Mudschaheddin-Führer Ahmed Schah Massud, dem sich niemand zu widersetzen wagt, hat die Tyrannei der Taliban abgelöst. Die Polizei schiesst auf demonstrierende Studenten. Der Geheimdienst sitzt vor den Büros neuer politischer Gruppen, und einer deren Aktivisten wurde vor zehn Tagen in Kabul auf offener Strasse niedergeschossen, nachdem seine Organisation vom Geheimdienst aufgefordert worden war, in ihrer Zeitung «Fackel der Demokratie» mehr Zurückhaltung zu üben.

John Sifton von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, der gerade einen Bericht über die westafghanische Stadt Herat mit verfasste, meint, die Lage dort sei «nicht sehr anders als unter den Taliban». Asma Jehangir, Uno-Sonderberichterstatterin über ausserlegale Hinrichtungen, konstatierte eine «Atmosphäre der Angst» ausserhalb Kabuls. Selbst Justizminister Abdul Rahim Karimi gibt zu, dass die «Rechtsprechung» dort oft den Warlords obliegt.

Auch die Uno macht ihre Hausaufgaben nicht. Vom Petersberger Afghanistan-Abkommen mit der Aufsicht über den Friedensprozess betraut, sah sie tatenlos zu, wie die Unabhängige Verfassungskommission mehr als zwei Monate zu spät einberufen wurde und wie die Fahim-Gruppe die Rechtsreformkommission wochenlang lahm legte. Dabei sind beide das Kernstück in der Nach-Loja-Dschirga-Phase des Friedensprozesses. Sie entscheiden, ob Afghanistan sich hin zu einer offeneren Gesellschaft bewegt, wie sie eine übergrosse Mehrheit der AfghanInnen wünscht, oder erneut unter ein islamistisches Regime fällt.

Da berichtet eine Nachrichtenagentur, Karsai habe «die Augenbrauen hochgezogen», als der deutsche Kanzler Gerhard Schröder die Gleichberechtigung der Frauen anmahnte. Auf der «Civil-Society-Konferenz» einen Tag vorher meinte Karsai-Berater und Mitglied der Verfassungskommission Mussa Marufi zur Frage der verfassungsrechtlichen Trennung von Staat und Religion, das dürfe man «noch nicht einmal denken». In der Präambel des Petersberger Abkommens heisst es jedoch, dass die Afghanen ihre «politische Zukunft im Einklang mit den Grundsätzen des Islam, der Demokratie, des Pluralismus und der sozialen Gerechtigkeit in Freiheit» bestimmen könnten.

Die zentralen Fragen sind in Bonn nicht öffentlich angesprochen worden. Fünfeinhalb Stunden Tagungszeit bei 35 teilnehmenden Delegationen reichen eben nur für ein paar diplomatische Floskeln.