Amerika hat jetzt viele Freunde, auch viele falsche: Totschlagwort Antiamerikanismus

«Mot-valise» (wörtlich: Koffer-Wort) wird im Französischen treffend ein Schlagwort genannt, das aufgrund seiner zusammengesetzten Struktur keine eindeutige begriffliche Substanz besitzt, sich gerade deshalb aber als Behältnis für unterschiedlichste Inhalte eignet. Ein paradigmatisches «mot-valise» ist «Antiamerikanismus». Das Wort zirkuliert innerhalb und ausserhalb der USA von neuem mit beachtlicher Frequenz, stiftet allerlei Verwirrung und verlangt deshalb nach nüchterner Überprüfung.

Kein Rätsel gibt indessen die an die Etikettierung geknüpfte Absicht auf: Jemandem «Antiamerikanismus» anhängen heisst ihn als Kritiker und Widersacher disqualifizieren. Das Verfahren hat sich bereits während des Vietnamkriegs bewährt, als es galt, Gegner dieses nachgeholten amerikanischen Kolonialkriegs aus dem Ring zu werfen; seit dem 11. September 2001 wird es erneut mit Hingabe angewandt. In einer in Freunde Amerikas und Freunde des Terrorismus übersichtlich aufgeteilten Welt ist der Antiamerikanismus-Koffer zur Allzweckwaffe geworden.

Auf sie greifen deutsche Politiker wie Gerhard Schröder und Otto Schily jedes Mal dann zurück, wenn Widersacher ihrer Politik der «uneingeschränkten Solidarität» mit den USA zum Schweigen gebracht werden sollen. Wenn Leitartikelschreibern gar nichts einfallen will, bieten sich als Prügelknaben immer noch die «Antiamerikaner» an, am besten zusammengespannt mit «so genannten Intellektuellen», wie in der deutschen katholischen Tageszeitung «Rheinische Post» kürzlich zu lesen war. Bemerkenswert, wie hier ein altes Erbstück der antisemitischen Rechten, der Antiintellektualismus, sich mit dem Neuerwerb blinder Gefolgstreue gegenüber Washington verbindet.

Adorno, Chomsky, Roy

In der Welt der Kofferträger des «mot-valise» Antiamerikanismus herrscht offenkundiges Durcheinander. Die Unordnung nimmt weiter zu, wenn der Deckel einmal geöffnet wird und darunter ein buntes Sammelsurium unterschiedlichster Gestalten und Tendenzen zum Vorschein kommt. Ganz obenauf liegt selbstverständlich ein aus Pakistan stammendes Poster mit Bin Laden, dem erklärten rabiaten islamistischen Amerikahasser. In der Nachbarschaft finden sich die unvermeidlichen Nazis, die an Amerika bekanntlich das «Völkergemisch», die «Negermusik» und die «jüdische Plutokratie» verabscheuten. Auch ein ganzer Stapel verblichener, gegen die US-Imperialisten wetternder Ostblockpropaganda ist dabei.

Zu den Antiamerikanern gerechnet wird überraschenderweise jedoch auch der weder kommunistische noch nationalsozialistische Philosoph Theodor W. Adorno, dem die kalifornische Professorin Dagmar Barnouw vor einiger Zeit vorwarf, sich während seiner amerikanischen Exilzeit nie richtig amerikanisch integriert, die englische Sprache sich nur oberflächlich angeeignet und die US-amerikanische Massenkultur elitär-europäisch kritisiert zu haben. Auch der Linguist Noam Chomsky, obgleich US-Amerikaner, sieht sich seiner Kritik an der Aussenpolitik der USA wegen häufig als Antiamerikaner angeprangert.

Als Antiamerikanerin abgestempelt wurde nach dem 11. September die bis dahin als «literarische Stimme Indiens» hochgepriesene indische Schriftstellerin Arundhati Roy: Hatte sie es doch gewagt, in der Zeit weltweit betroffen zur Schau getragener Solidarität mit den Opfern von New York und Washington sogar in einer US-Fernsehshow daran zu erinnern, dass kaum ein westlicher Hahn seinerzeit nach den 16 000 indischen Toten von Bhopal gekräht hat, die das nachlässige Management des US-amerikanischen Konzerns Union Carbide auf dem Gewissen hatte. Wut macht laut Arundhati Roy in ihrem Land, dass im Fall Bhopal die US-amerikanischen Verantwortlichen unbelangt entkommen durften, die USA jedoch unter weltweitem Beifall gleich ihre Streitkräfte losschicken können, wenn Vergeltung für die Terrorakte vom 11. September angesagt ist.

Wenn das «Antiamerikanismus» ist, was die indische Schriftstellerin zum Ausdruck bringt, dann ist elementares Gerechtigkeitsgefühl gepaart mit gutem Gedächtnis also «antiamerikanisch». Ein offenkundiger Nonsens. Warum kommt er dennoch an? Weil die meisten der heterogenen Komponenten des Amalgams Antiamerikanismus, von Ablehnung US-amerikanischer Regierungsarroganz bis zur Kritik an der sich weltweit aufdrängenden amerikanischen Kulturindustrie, zugunsten einer einzigen verborgen gehalten werden: und zwar zugunsten der Komponente Ressentiment.

Dass ein gegen alles Amerikanische gerichtetes hässliches Ressentiment existiert und auch auf Widerhall stösst, ist vernünftigerweise nicht zu bestreiten; wenn gewisse Europäer, Franzosen an der Spitze, zum Zweck der Amerika-Karikatur als «amerikanisch» geltende Laute ebenso genüsslich wie ungeschickt im Mundraum umherrollen lassen, wird es sogar hörbar. Solches Ressentiment gehört keiner einzelnen Nation an und kann sich folglich aus unterschiedlichen Quellen speisen. Das Ressentiment ist jedoch in keinem Fall das einzig ausschlaggebende Element im Amalgam «Antiamerikanismus».

In einem beim Erscheinen in Deutschland viel beachteten Buch zum Thema will dies aber der in Leipzig lehrende Historiker Dan Diner glauben machen. Seine mit Zitaten gespickte Nachzeichnung der Traditionslinien amerikafeindlichen Ressentiments in Deutschland von der Romantik bis zur Gegenwart ist zwar interessant zu lesen, aber nicht eigentlich erhellend und historisch aufklärend. Erhellend wäre hingegen ein Vergleich des deutschen Falls mit dem anderer Länder einschliesslich der USA selbst gewesen. Den hat Diner sich jedoch erspart, so dass er leichtes Spiel hat, etwa Sigmund Freuds berühmte Formel von Amerika als «gigantischem Irrtum» der Rubrik deutsche Kulturverirrung zuzuschlagen – was aber will er etwa mit dem in den USA oft zitierten Ausspruch des Amerikaners Mark Twain anfangen: «Es war wunderbar, Amerika zu finden. Es wäre aber noch wunderbarer gewesen, es zu verfehlen.»? Deutsch-amerikanischer Antiamerikanismus oder was?

Nationalsozialistischer Amerikanismus

Als Beitrag zur Entwirrung des Amalgams Antiamerikanismus trägt Dan Diners Ansatz deshalb nicht weit, weil der Autor sich in methodisch unzulässiger Weise allein auf den Faktor Ressentiment konzentriert. Schlimmer noch, er weiss zwar, wie er schreibt, dass das alles in Wirklichkeit komplizierter ist – «Die Beziehungen der Gemeinwesen wie der sich aufeinander folgenden politischen Mentalitäten waren bei weitem widersprüchlicher, als es eine thematisch notwendige Zuspitzung auf das Ressentiment herausarbeiten kann», heisst es einmal –, doch aus nicht offen gelegten Gründen verzichtet der Historiker darauf, eben dieser Widersprüchlichkeit nachzugehen, die überhaupt das einzig Lehrreiche an der Geschichte der Amerikabilder nicht nur in Deutschland ist. Bei Diners eindimensionaler Vorgehensweise kommt am Ende nicht viel mehr heraus als ein Schatzkästlein voll von Totschlagargumenten gegen Kritik an Amerika, aus dem sich dann Politiker wie Leitartikelschreiber ad libitum bedienen können und in jüngster Zeit – wie Innenminister Schily, der Diner freundschaftlich verbunden ist – auch bedienen.

Im Zusammenhang mit dem Komplex Antiamerikanismus ist das deutsche Beispiel eben deshalb interessant, weil es sich einer ideologisch und ideologiegeschichtlich bequem einsträngigen Lektüre sperrt. Bevor in Deutschland von wahrnehmbarem Antiamerikanismus die Rede sein konnte, war erst einmal «Amerikanismus» angesagt. In seiner jüngst erschienenen sehr aufschlussreichen Untersuchung «Die Kultur der Niederlage» erinnert der in New York lebende deutsche Autor Wolfgang Schivelbusch daran, dass das 1871 gegründete Kaiserreich als «junge Nation» eine besondere Verwandtschaft mit der amerikanischen Union zu verspüren glaubte, die sich etwa gleichzeitig, nach der Niederlage des konföderierten Südens im Bürgerkrieg, als Union zu festigen begann.

Die expandierende Reichshauptstadt Berlin galt bald als «amerikanischste» Stadt Europas. Ingenieure und Unternehmer in Deutschland orientierten sich an neu entwickelten amerikanischen Produktionstechniken bis hin zur Fliessbandproduktion des Autobauers Henry Ford. In den zwanziger Jahren, zeigt Schivelbusch, wurde Ford in Deutschland sogar als regelrechter Volksheld verehrt: Ford repräsentierte eine eigenartige Mischung aus vorkapitalistischem, dazu schwer antisemitischem Unternehmerpatriarchen, der sich von keiner Aktionärsherrschaft in seine Geschäftsführung hineinreden lassen wollte, und aus umsichtigem hochmodernem Kapitalisten.

In dem damals aufschäumenden Amerikanismus erkannte der kluge Zeitkritiker Kurt Tucholsky sogleich das Surrogat: «Wobei zu sagen wäre», bemerkte er 1930 in einem Artikel der «Weltbühne», «dass der europäische Amerikanismus ein wild gewordenes Europa, aber kein Amerika ist.» Antiamerikanismus wandte sich zunächst nicht gegen Amerika, sondern gegen eine europäische Mode. Der deutsche Amerikanismus jedoch überlebte sogar den Machtantritt der Nazis, ja mauserte sich, wie Schivelbusch ein Kapitel überschreibt, zu einem «nationalsozialistischen Amerikanismus». Bereits Hitlers Wahlkämpfe vor 1933 waren nach dem Vorbild amerikanischer Werbekampagnen inszeniert. Der Umsatz von Coca-Cola, jenem universellen Symbol US-amerikanischer Omnipräsenz, steigerte sich im Dritten Reich sogar um das Zwanzigfache gegenüber der Periode der Weimarer Republik; Hollywoodfilme liefen bis kurz vor Kriegsende in deutschen Kinos.

Dies war ganz im Sinne von Hitlers Propagandaminister Goebbels, der auf der einen Seite nach dem Kriegseintritt der USA gegen den amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau als jüdischen Blutsauger hetzte, auf der anderen Seite aber, als moderner Techniker der Massenbeeinflussung, stets neidvoll nach Hollywood schielte. Statt «völkisch» nach dem «deutschen Film» als Transportmittel nationalsozialistischer Weltanschauung zu rufen, förderte Hitlers Kulturchef, wie die Forschungen des verstorbenen Filmhistorikers Karsten Witte ergaben, nach Kräften die Produktion nach Hollywoodart professionell hergestellter, unpolitischer Unterhaltungsstreifen. «Zugespitzt gesagt», schreibt Schivelbusch, «lernte der Nationalsozialismus von Amerika, die Massen weniger politisch-ideologisch als materiell-hedonistisch an sich zu binden.»

Als die Besatzungsmacht USA nach Kriegsende amerikanische Massenkultur ins Land brachte, begegnete den Deutschen demnach keine ausschliesslich fremde, feindselige Welt. Die amerikafeindlichen Gefühle, die sich nach Kriegsende gegenüber den Siegern regten, schleppten eine hochambivalente, nationalsozialistisch-amerikanische Vorgeschichte mit: Wer sie als Ausdruck ungetrübter Wut der Deutschen auf das demokratische Amerika deutet, macht sich die Sache viel zu einfach. Denn sollten es die Nazis sein, die bis heute in den Geistern rumoren, können sie nicht nur bei Amerikahassern, sondern müssen auch bei Amerikabewunderern am Werk sein.

Doppelzüngigkeit der USA

Entsprechend der simplen konventionellen Lesart, die in der Ablehnung der USA allein das völkisch-nationale Motiv erkennt, will Dan Diner Antiamerikanismus als Aufstand gegen die universellen Werte verstanden wissen, für die Amerika steht: «Genau genommen gehört der sowohl auf Seiten der extremen Linken wie auch auf der Rechten historisch virulente Antiamerikanismus zum Kerngehalt jener national und gegenuniversalistisch eingefärbten Tendenz, die sich nunmehr anschickt, das gegenwärtig herrschende und voraussichtlich noch zunehmende politische Deutungsvakuum aufzufüllen.» In dem Historiker bricht hier definitiv der Ideologe durch: Wenn er Kritik an den heutigen USA mit Ablehnung westlicher «Modernität» schlechthin gleichsetzt, klammert er sich selbst an eine bloss gesinnungsmässig bestimmte, in der Luft hängende Idee von Amerika.

Die in den neunziger Jahren neu entstandene und sich seither über viele Länder ausbreitende globalisierungskritische Bewegung ist sichtbares Zeichen dafür, dass der von den USA einst ausgegangene universalistische Anstoss gerade bei Jüngeren Früchte getragen hat, und zwar mehr, als die einstigen Lehrmeister sich das heute vielleicht wünschen. Mit amerikafeindlichen Ressentiments hat es gar nichts zu tun, wenn die USA bei Demonstrationen von GlobalisierungsgegnerInnen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.

Den in Seattle, Göteborg, Genua, Québec und anderswo Protestierenden ist schlicht die Doppelzüngigkeit der heutigen USA zu viel: Auf der einen Seite trägt die Weltmacht mit Trommelklang die Fahne des Universalismus vor sich her, auf der anderen ist sie, wie die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein sagt, «das unglobalste Land der Erde», sabotiert die meisten Anstrengungen, dem Universalismus eine breitere institutionelle Grundlage zu verschaffen, wie sie in der Uno, durch Biowaffenkonvention, Landminenabkommen, Internationales Kriegsverbrechertribunal, Kioto-Protokoll etc. unternommen werden. Wer jenes übermächtige Amerika kritisiert, das seine nationalen Interessen über alles stellt, ist folglich ein glaubwürdigerer Universalist als der folgsame Amerikaverhimmler.

Zu bekämpfen bleibt indessen jenes nicht aus den Köpfen verschwundene dumpfe amerikafeindliche Ressentiment, das gar kein bestimmtes Motiv braucht, um sich stereotyp an amerikanischer «Kulturlosigkeit» und an dem «Schmelztiegel» der klassischen Einwanderungsgesellschaft zu entzünden. Ein ernsteres Problem jedoch ist derzeit das von politischen und publizistischen Giftköchen aufgewärmte Amalgam «Antiamerikanismus», mit dem alles, was nicht konform geht, mundtot gemacht werden soll.

Das Verfahren ist von den Europadebatten zu Beginn der neunziger Jahre bekannt. Als «Antieuropäer» sahen sich da alle diejenigen angeprangert, die eine andere Vorstellung von Europäischer Union hegten als die tonangebenden Regierungen. Als Schritt der Gegenwehr schlug der politische Philosoph Régis Debray vor, die Unterscheidung zwischen «Europäisten», das heisst EU-Mitläufern, und «Europäern», zu denen er sich selbst zählt, einzuführen. Eine entsprechende, notwendige und heilsame Unterscheidung steht im Fall der Amerikakritik noch aus.

Dan Diner: «Verkehrte Welten. Antiamerikanismus in Deutschland». Eichborn Verlag. Frankfurt 1993.
Wolfgang Schivelbusch: «Die Kultur der Niederlage. Der amerikanische Süden 1865 – Frankreich 1871 – Deutschland 1918». Alexander Fest Verlag. Berlin 2001.