Weder Psychologie noch Geopolitik
Ein Podium im Zürcher Kulturhaus Kosmos suchte nach Beschreibungen für die Kriegswirklichkeit. Und zerlegte das patriarchale Weltbild von Wladimir Putin.
Welche Perspektiven für den Frieden? Mit dieser Frage war das von der WOZ und «Kosmopolitics» organisierte Podium überschrieben, und sicher kreisten auch die Gedanken der zahlreich Anwesenden um die Hoffnung auf Frieden. Doch zuerst führt uns die ukrainische Historikerin Olha Martynyuk am Montagabend den Krieg vor Augen. Erst ein paar Tage ist es her, seit sie aus Kiew zu ihrem Freund in die Schweiz geflüchtet ist. Sie erzählt, wie sie zu Explosionen vor ihrem Fenster aufgewacht ist, schildert ihre Gefühle als Geflohene: Scham, Angst, Sorge um zurückgebliebene Freund:innen und Familienmitglieder. Mehrfach bricht ihr ungläubiges Staunen darüber durch, dass ein solcher Angriffskrieg heute wieder möglich ist.
Auch die feministische Politikwissenschafterin Leandra Bias von der schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace beschreibt ihre «Schockstarre» – und ihre Zweifel: Was bedeutet diese brutale militärische Invasion für die (bisherige) Arbeit der Friedensförderung? Ebenso gemischte Gefühle bei der WOZ-Reporterin Anna Jikhareva: Wut und Schrecken über den Angriff, Scham als russische Bürgerin. Unter der Gesprächsleitung von Filmemacher Samir machen sich die drei daran, Logik in diesen Krieg zu bringen, der uns vielleicht auch deshalb überrascht, weil er auf den ersten Blick derart unlogisch und irrational erscheint, wie Jikhareva erklärt.
Die Logik der Propaganda
Diese tastende Sinnverleihung nimmt wohltuend andere Wendungen, da für einmal drei junge Frauen auf dem Podium sitzen: Das Publikum bleibt verschont von geopolitischen Grossentwürfen, Militärhistorie, Fachsimpeleien zu Waffensystemen. Olha Martynyuk ortet ein Hauptproblem der Wahrnehmung des Krieges darin, dass «Russland» ständig «essenzialisiert» werde. Anstatt wie bei jeder Nation Zufälle und die historische Gewordenheit zu betonen, übernehme man die Fantasie eines ewigen Kerns, was Wladimir Putin direkt in die Hände spiele.
Anna Jikhareva zeichnet nach, wie die russische Rede vom Kampf gegen die «ukrainischen Faschisten» eine Propagandaerzählung ist, die bereits gegen die ukrainische Euromaidan-Revolution von 2013/14 hervorgeholt wurde – und die nun den Vorwand für den Angriffskrieg liefert. Leandra Bias zeigt ergänzend auf, wie diese russische Propaganda einer «Back to the Future»-Logik folgt: Der Rückgriff auf den heroischen Weltkriegssieg gegen die Nazis dient als missbräuchlich eingesetzte Folie für die Zukunft eines Landes, das nur noch in der Fantasie als potentes, geeintes Grossreich dasteht.
Die feministische Sicht
Explizit vermieden wurden Psychologisierungen des Hobbyhistorikers Putin als starker, aber auch schrecklicher Mann, womöglich getrieben von gekränkten Gefühlen. Stattdessen wurde sein penetrantes patriarchales Weltbild fachgerecht zerlegt – und ganz konkret auch sein auf die Ukraine gemünzter Vergewaltigungswitz im Telefonat mit Emmanuel Macron.
Welche Perspektiven für den Frieden in dieser Katastrophe? Antikriegsmassnahmen müssen breit gestreut bleiben – und auch kommende Konflikte mitbedacht werden. Die Podiumsveranstaltung liefert dazu konkrete Ideen: Es gilt, den Krieg ökonomisch zu bekämpfen, etwa via Sanktionen, aber auch im Umgang mit russischen wie ukrainischen Oligarchengeldern auf Schweizer Bankkonten. Eine grosszügige unkomplizierte Aufnahme von Geflüchteten aus allen Kriegsregionen der Welt gehört ebenso dazu wie der anhaltende Kampf gegen die Klimaerhitzung – als künftiger Kriegsgrund – und gegen das Patriarchat. Und natürlich muss man gerade auch angesichts dieses brutalen Angriffskriegs weiter beharrlich über Abrüstung reden.
Das ganze Gespräch gibt es hier zum Nachschauen.