Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

Denkmalbombenschutz

«Erst restaurieren wir alles, jetzt müssen wir unser Werk vor den Angriffen schützen»: Stepan Vay vor der Boim-Kapelle.

Ukrainische Restaurator:innen versuchen, die historischen Schätze Lwiws vor möglichen russischen Angriffen zu schützen. Eine Begegnung.

In den malerischen Kopfsteinpflastergassen von Lwiws Altstadt wimmelt es derzeit von Menschen: Binnenvertriebene, die vor dem russischen Überfall aus den östlichen Landesteilen geflohen sind; Gruppen junger, schwerbewaffneter Soldaten; Journalist:innen aus aller Welt sind zu sehen. Dazwischen versuchen die Einheimischen, dem Krieg zum Trotz, ihrem gewöhnlichen Leben so weit wie möglich nachzugehen. Da die Stadt weit im Westen des Landes liegt, fern von den schlimmsten Kampfhandlungen, bietet sie ein Mass an Sicherheit, das sonst in kaum einer anderen ukrainischen Grossstadt mehr zu finden ist.

Die Altstadt von Lwiw, auf Deutsch Lemberg, wurde 1998 von der Unesco in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Die Begründung: Der historische Charakter der Stadt, der nahezu komplett bewahrt sei, spiegle die multiethnische Vergangenheit der Stadt wider. Um den historischen Marktplatz drängen sich Kirchen im gotischen und barocken Stil sowie Wohnhäuser aus der Renaissance. Auf den vier Springbrunnen aus dem 18. Jahrhundert, die das Rathaus umgeben, stehen lebensgrosse Skulpturen antiker griechischer Gottheiten. Während sich Lwiw in den letzten Wochen zu einer Art temporärer zweiter Hauptstadt des Landes entwickelt hat, werden seine historische Schönheiten immer unsichtbarer.

Anarchischer Geist

Das hat auch mit der Arbeit der Bauarbeiter:innen, Restaurator:innen und Denkmalschützer:innen zu tun. Seit Beginn der russischen Invasion sind sie daran, die Schätze der Stadt mit Schutzverkleidung abzudecken. Zwar musste sich die Stadt bisher nicht vor der russischen Artillerie fürchten. Dennoch warnt der Fliegeralarm fast jeden Tag vor sich nähernden Raketen, die bereits strategische Ziele in den Aussenbezirken getroffen haben. Die Massnahmen zum Schutz der historischen Bausubstanz werden von städtischen Behörden in Zusammenarbeit mit Denkmalschutzvereinen vorgenommen. Die Helferinnen selbst sind grösstenteils über die sozialen Medien zusammengetrommelt worden.

Stepan Vey ist einer von ihnen. Der gebürtiger Lwiwer ist eigentlich Künstler, seit etwa zehn Jahren arbeitet er in örtlichen Restaurierungsprojekten. «Ich war lange in der Bernhardinerkirche mit der Restaurierung der Fresken und Skulpturen beschäftigt», erklärt er während einer Verschnaufpause. Ins Sonnenlicht blinzelnd, schaut er seinen Kolleg:innen dabei zu, wie sie ein Gerüst aus Spanplatten vor der Fassade der Boim-Kapelle befestigen. Das Relief, das die Aussenwand der Kapelle schmückt und unter anderem die Passionsgeschichte darstellt, ist inzwischen völlig hinter einer Wand aus Holzplatten und Wellblech verschwunden.

Die Arbeit ist vom anarchischen Geist der Mobilisierung geprägt, der zurzeit in allen ukrainischen Gesellschaftsbereichen zu beobachten ist. Wo kommt das Gerüst her, die Holzplatten und das brandsichere Verkleidungsmaterial, mit denen die Kapellen, Kirchen und Skulpturen der Altstadt verkleidet werden? «Von den Kirchen gesponsort, glaube ich», meint Stepan Vey. «Nein, das kommt alles von der Stadt», widerspricht ihm ein Kollege. Ein Dritter hat gehört, dass Polen ihre Arbeit materiell unterstützen würde.

Wahrzeichen zerstört

Stepan Veys Alltag ist sonst gemächlicher. «Normalerweise arbeite ich im Polytechnischen Institut. Das hat eine wunderschöne, über 150 Jahre alte Aula mit bemaltem Marmor, dessen ursprüngliche Gestaltung wir wiederherstellen.» Bei seiner Arbeit kommt es auf Fingerspitzengefühl an. «Erst analysiert man und macht Schallproben. Mithilfe von Expert:innen, die über die nötigen chemischen Kenntnisse verfügen, ermitteln wir dann die benötigten Materialien. Dann tragen wir die äusseren Schichten ab, bis die ursprüngliche Bemalung freigelegt ist, und reparieren beschädigte Abschnitte.» Der gesamte Prozess kann Jahre dauern.

Mit dem Krieg besteht nun die Gefahr, dass die historischen Schätze innerhalb von Minuten zerstört werden. Bei den schonungslosen Angriffen der russischen Streitkräfte in Städten wie Charkiw und Mariupol etwa sind schon zahlreiche architektonische Wahrzeichen dieser Städte beschädigt oder zerstört worden. «Erst restaurieren wir alles, und jetzt müssen wir unser Werk vor den Angriffen schützen», fasst Stepan Vey die absurde Situation zusammen. Es ist ihm ein persönliches Anliegen, dass nicht alles verloren geht. «Sonst wäre ja alle unsere Arbeit umsonst gewesen.»