Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

«Mitten auf hoher See verloren?!»

Russland behauptet, die Besatzung des Kriegsschiffs Moskwa vollständig evakuiert zu haben. Doch verzweifelte Eltern suchen ihre Söhne.

Für das russische Regime war der Untergang der «Moskwa» ein herber Schlag, war das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte doch militärisch wie symbolisch bedeutend. Vor einer Woche war der Kreuzer gesunken. Warum – darüber gehen die Darstellungen allerdings stark auseinander. Sehr wahrscheinlich steckt ein ukrainischer Raketenangriff dahinter, dies legen diverse Aufnahmen und Berichte nahe; die russischen Behörden hingegen geben einem Unwetter die Schuld.

Ähnlich fragwürdig ist die Darstellung zum Verbleib der Schiffscrew. Während das russische Verteidigungsministerium behauptet, diese sei «vollständig» evakuiert worden, lassen immer mehr Berichte erhebliche Zweifel an dieser Erzählung aufkommen. Demnach seien Dutzende Matrosen ums Leben gekommen, darunter auch Wehrpflichtige. Das russische Exilmedium «Meduza» schreibt unter Berufung auf eine Quelle bei der Schwarzmeerflotte von mindestens 37 Toten und über 100 Verletzten. Die Leichen seien auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim gebracht worden. Ähnliche Zahlen führt die «Nowaja Gaseta Europe» auf. Insgesamt sollen sich über 500 Personen an Bord befunden haben.

Familien nicht informiert 

Diverse russische und westliche Medien sprachen in den letzten Tagen mit den verzweifelten Eltern junger Männer, die seit dem Untergang der «Moskwa» verschwunden sind oder als verstorben gemeldet wurden. Julia Tsiwowa etwa wurde tagelang über das Schicksal ihres neunzehnjährigen Sohnes im Dunkeln gelassen. Erst am Montag erhielt sie einen Anruf der Behörden. Ihr Sohn sei tot, hätten diese gesagt, erzählte die Frau dem «Guardian». «Sonst haben sie mir nichts gesagt, keine Information darüber, wann das Begräbnis stattfinden würde.» 

Dmitri Schkrebez wiederum berichtete auf dem sozialen Netzwerk VK vom Verschwinden seines Sohnes, der auf dem Schiff Koch gewesen sein soll. «Nun wird ein Rekrut, der nicht für den aktiven Kampf vorgesehen war, vermisst», schrieb er. «Wie kann man mitten auf hoher See verloren gehen?!!!» Und Tatjana Efrimenko sagte gegenüber «Meduza»: «Ich weiss nicht, was ich tun soll, ich kann nicht einfach zu Hause sitzen, und ich bekomme keinerlei Informationen. Alle sagen, mein Sohn sei spurlos verschwunden – sagen aber nicht, wo. War es auf hoher See? An Land?»

Erinnerung an die «Kursk»

Die Informationspolitik der russischen Behörden weckt Erinnerungen an deren Umgang mit dem Untergang der «Kursk». Im Jahr 2000, als Präsident Wladimir Putin gerade frisch an die Macht gekommen war, war das Atom-U-Boot bei einem Manöver in der Barentssee nördlich von Murmansk gesunken, 118 Matrosen kamen ums Leben, einige erstickten qualvoll. Auch damals waren die Mitteilungen über den Zustand der «Kursk» und die Rettungsarbeiten widersprüchlich. Und Putin hielt es zunächst nicht einmal für nötig, seinen Urlaub am Schwarzen Meer zu unterbrechen. Auf kritische Berichte in den damals noch vergleichsweise freien Medien reagierte er mit Drohungen.