Lektüretipps fürs Wochenende
Die WOZ hat sich erneut durch die internationale Presse geblättert. Hier einige Hinweise auf vertiefende Beiträge zum Krieg gegen die Ukraine.
Jelena Osipowa ist eine Ikone. Ob gegen den Tschetschenienkrieg, den Irakkrieg oder die Annexion der Krim: Die inzwischen 77-Jährige trägt ihren Protest für den Frieden seit Jahrzehnten auf die Strasse. Und auch jetzt setzt sich die Petersburgerin unermüdlich gegen den Krieg ein, den das Regime ihres Heimatlands in der Ukraine entfesselt hat. Immer wieder geht sie mit aufwendig gestalteten, selbstgebastelten Plakaten auf die Strasse – und lässt sich auch durch die Verhaftungen der letzten Wochen nicht einschüchtern. In Russland nennt man sie «das Gewissen von St. Petersburg». Das im lettischen Riga ansässige russische Exilmedium «Meduza» hat diese Woche mit Osipowa gesprochen – über vielfältige Widerstandsformen und Kunst, das Putin-Regime und Russlands Zukunft. Lesen Sie hier die klugen Gedanken einer beeindruckenden Frau.
Parallelen zu Tschetschenien
Masha Gessen, Autor:in beim «New Yorker», gehört zweifellos zu den besten Kenner:innen des russischen Regimes. Gessen wurde 1967 in Moskau geboren, zu Beginn der achtziger Jahre siedelte die Familie in die USA über. Masha Gessen selbst kehrte in den Neunzigern allerdings nach Russland zurück und berichtete unter anderem als Kriegsreporter:in über den Tschetschenienkrieg, später beobachtete sie den Aufstieg Putins. Diese Woche schaute sich Gessen in Kyjiw um: Die eindrückliche Reportage legt den Fokus auf die Denkmalanlage von Babyn Jar, die an die Ermordung von 33 000 Jüd:innen durch die Wehrmacht im Jahr 1941 erinnert. Während eines russischen Raketenangriffs auf die ukrainische Hauptstadt ist die Gedenkstätte kürzlich beschädigt worden.
Wer die Bilder der zerstörten Hafenstadt Mariupol sieht, fühlt sich unweigerlich an Grosny oder Aleppo erinnert: zwei Städte, die in den letzten Jahrzehnten zum Symbol der Zerstörung durch russische Bomben wurden. Dass es zwischen dem aktuellen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dem Tschetschenienkrieg Parallelen gibt, konnte man in den letzten Wochen immer wieder lesen. Der britische Politologe James Hughes, der unter anderem ein Buch über Tschetschenien geschrieben hat, befasst sich in einem Beitrag für das Berliner Osteuropazentrum (ZOiS) nun ausführlich mit den Gemeinsamkeiten, aber auch den Unterschieden der beiden Kriege. «Der womöglich wichtigste Faktor bei einem solchen Vergleich sind die vom russischen Militär durchlaufene Lernkurve und seine taktische Anpassungsfähigkeit angesichts anfänglicher Fehlschläge», schreibt Hughes.
Aus dem Widerstand
Ebenfalls wollen wir Ihnen zwei Interviews mit ukrainischen Expert:innen empfehlen. In einem ausführlichen Gespräch mit der britischen Zeitschrift «New Left Review» erzählte der Protestforscher Wolodymyr Ischtschenko vom «Euromaidan», von ökonomischen und sozialen Veränderungen unter dem aktuellen Präsidenten Wolodimir Selenski und von der Zukunft der Ukraine. Das Interview liefert wertvolle Hintergrundinformationen zu den aktuellen Ereignissen. Das linke Magazin «Spectre» wiederum sprach mit Yulija Yurchenko, die sich auf politische Ökonomie spezialisiert hat und Autorin des 2018 erschienen Buchs «Ukraine and the Empire of Capital. From Marketization to Armed Conflict» ist. Thema des Interviews sind unter anderem der zivile und der militärische Widerstand in der Ukraine.
Zum Widerstand gehört auch der gewerkschaftliche Internationalismus, der eine potenziell mächtige Waffe im Krieg sein kann. Ob Hafenarbeiter, die Schiffe mit Waffenlieferungen blockieren und die Häfen stattdessen für Geflüchtete öffnen wollen, oder Arbeiter:innen, die ihren Protest gegen den Krieg in die Betriebe und Fabriken tragen – in misslichen Zeiten wie den heutigen sind solche Widerstandsformen immerhin ein Funken der Hoffnung. In der aktuellen Ausgabe der linken Monatszeitung «analyse & kritik» berichtet die Forscherin Anne Engelhardt über aktuelle Bewegungen und mögliche Formen des Internationalismus im 21. Jahrhundert.
All jenen, die des Russischen mächtig sind, sei in diesem Zusammenhang auch noch ein Beitrag der «Nowaja Gaseta Europe» über den belarusischen «Schienenkrieg» wärmstens empfohlen. Schon im Zweiten Weltkrieg stellten sich mutige Partisanen gegen die Nazis, indem sie massenhaft Schienen zerstörten und so den Nachschub der Armee erschwerten. Heute tun es Gewerkschafter:innen ihnen gleich und schneiden die russischen Truppen von der Versorgung ab.