Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

«Ewige Macht und geschmacklose Villen»

Ein russischer Diplomat quittiert öffentlich seinen Dienst aus Protest gegen den Krieg. Dass ihm viele folgen werden, glaubt er aber nicht.

Mit scharfen Worten des Protests gegen Russlands Überfall auf die Ukraine hat am Montag erstmals seit Kriegsbeginn vor drei Monaten ein ranghoher Diplomat der Regierung Wladimir Putins mit einer öffentlichen Erklärung seinen Posten quittiert.

Boris Bondarew, seit 2019 bei der russischen Uno-Mission in Genf zuständig für die Verhandlungen in der Uno-Abrüstungskonferenz, erklärte in seinem Rücktrittsbrief an seinen Vorgesetzten, Moskaus Uno-Botschafter Gennadi Gatilow, er habe sich in den zwanzig Jahren seiner diplomatischen Laufbahn noch nie so für sein Land geschämt wie am 24. Februar dieses Jahres, als der Überfall auf die Ukraine begann.

«Der von Putin angezettelte Angriffskrieg gegen die Ukraine, ja gegen die gesamte westliche Welt, ist nicht nur ein Verbrechen gegen das ukrainische Volk, sondern vielleicht auch das schwerste Verbrechen gegen das russische Volk, dem ein fettes Z alle Hoffnungen und Aussichten auf eine blühende und freie Gesellschaft in unserem Land durchkreuzt», schrieb der 41-jährige Diplomat in Anspielung auf das Symbol, das die russische Invasion sichtbar begleitet.

Diejenigen, die diesen Krieg geplant hätten, wollten «ewig an der Macht bleiben, in geschmacklosen Palästen leben und auf Jachten segeln», kritisierte Bondarew. «Dafür sind sie bereit, so viele Leben zu opfern wie nötig.»

Kriegstreiberei statt Diplomatie

Im russischen Aussenministerium hätten Desinformation und Propaganda ein Ausmass erreicht, das an die Sowjetzeit der 1930er Jahre erinnere, schrieb er in Anspielung auf die Herrschaft unter Diktator Josef Stalin.

Namentlich kritisierte Bondarew Aussenminister Sergei Lawrow. Dieser habe sich «in seinen achtzehn Amtsjahren von einem professionellen, gebildeten und bei seinen Kollegen hochangesehenen Intellektuellen zu einem Mann gewandelt, der ständig einander widersprechende Äusserungen verbreitet sowie die Welt (und damit auch Russland) mit atomaren Waffen bedroht». Im Aussenministerium gehe es heute nicht um Diplomatie. «Es geht nur um Kriegstreiberei, Lügen und Hass».

Auf Nachfrage verschiedener Medien teilte Bondarew mit, er habe nicht nur seinen Genfer Posten aufgegeben, sondern werde vollständig aus dem diplomatischen Dienst seines Landes ausscheiden. Seit dem 24. Februar habe er seine Besorgnis über den Krieg gegen die Ukraine mehrmals gegenüber leitenden Botschaftsmitarbeitern geäussert, berichtet Bondarew. Doch ihm sei gesagt worden, er solle den Mund halten, um Konsequenzen zu vermeiden.

Keine Reue spürbar

Er habe schliesslich keine Alternative mehr zu einem Rücktritt gesehen, erwarte allerdings nicht, dass viele seiner bisherigen Kolleg:innen seinem Beispiel folgen würden. Zunächst hätten diese in der Botschaft beim Kriegsausbruch «glücklich, erfreut und euphorisch reagiert, dass Russland jetzt radikale Massnahmen ergreift», berichtet Bondarew.

Inzwischen seien sie allerdings «weniger glücklich, weil wir nun einige Probleme haben, vor allem wirtschaftliche». Doch er erwarte nicht, dass viele seiner Exkolleg:innen ihre Haltung bereuen und ändern würden. «Sie werden vielleicht ein bisschen weniger radikal und viel weniger aggressiv, aber nicht friedlich.»

An der Genfer Uno-Mission Russlands waren bislang 66 Diplomat:innen akkreditiert. Gerüchte über weitere Rücktritte konnten zunächst nicht bestätigt werden. Aus anderen Vertretungen Russlands weltweit sind bislang zumindest keine Diplomat:innenrücktritte öffentlich bekannt geworden. Eine von Moskau angekündigte Stellungnahme zum Rücktritt Bondarews erfolgte bis zum Montagabend nicht.