Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

Der linke Blick auf den Krieg

Keine Angst, als «Nationalverräter» zu gelten: Der ukrainische Soziologe Andrei Mowtschan schreibt an die russische Opposition. Foto: Screenshot Posle.Media

Den Krieg gegen die Ukraine analysieren und eine nachhaltige Antikriegsbewegung aufbauen: Linke russische Aktivist:innen haben im Exil die Plattform «Posle» gegründet. 

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch für die russische Opposition vieles verändert und einige alte Gewissheiten ins Wanken gebracht. Während jene Aktivist:innen, die im Land geblieben sind, sich unter immer repressiveren Bedingungen, der Zensur trotzend, gegen den Krieg engagieren, sind viele durch ihn ins Exil gezwungen worden. So auch der Politologe Ilja Matweew und der Publizist Ilja Budraitskis. Weil sie aber nicht untätig herumsitzen wollten, haben die beiden Anfang Juni gemeinsam mit anderen Kriegsgegner:innen das Medienprojekt «Posle» gegründet, was auf Deutsch so viel wie «danach» bedeutet.

«Nach der russischen Invasion der Ukraine wird das Leben in beiden Ländern nie wieder dasselbe sein. Doch um weiterleben und -agieren zu können, brauchen wir Antworten auf einige zentrale Fragen: Wieso begann dieser Krieg? Wieso lässt er sich so schwer stoppen? Und wie wird die Zukunft nach dem Krieg aussehen?», erklären die Betreiber:innen ihre Motivation auf der Website des Projekts. 

«Posle» ist eine Plattform, die die neue Situation – anders als viele andere russische Oppositionsmedien, die ins Exil gezwungen wurden – aus einer dezidiert linken Perspektive analysieren und kritisieren will. «Als Linke können wir den Krieg nicht unabhängig von der enormen sozialen Ungleichheit und der Machtlosigkeit der arbeitenden Mehrheit betrachten», schreiben die Macher:innen. Ebenso wenig könnten sie die «imperialistische Ideologie», die den Status quo erhalte und «Militarismus, Xenophobie und Bigotterie» fördere, ignorieren. 

Fehlende Stimmen

Die Texte, die bisher auf dem Portal erschienen sind, bieten entsprechend eine bunte Vielfalt an Perspektiven: Da fasst Ilja Matweew etwa alles Wissenswerte über die westlichen Sanktionen gegen Russland zusammen. Und die ukrainische Feminismusikone Irina Scherebkina, die in ihrer Heimatstadt Charkiw geblieben ist, spricht über ihre Erfahrungen im Krieg.

Ilja Budraitskis analysiert das Konzept der «russischen Welt», auf das sich Wladimir Putin ideologisch abstützt. Hinzu kommen ein Text über die Erfahrungen ukrainischer Linker oder ein Interview mit dem russischen Künstler Kirill Sawtschenkow, der aus Protest gegen den Krieg seine Teilnahme an der Biennale zurückzog. 

Die Beiträge bei «Posle» erscheinen auf Russisch und Englisch und richten sich somit nicht bloss an eine russischsprachige Gegenöffentlichkeit, sondern auch an ein westliches linkes Publikum – was besonders wichtig ist, da in vielen ihrer Diskussionen russische wie ukrainische Stimmen nach wie vor fehlen. Auch ein regelmässiger Podcast ist Teil des Projekts. Mit ihrer publizistischen Arbeit verfolgen Matweew, Budraitskis und ihre Mitstreiter:innen aber auch ein grösseres Anliegen: den Aufbau einer schlagkräftigen Antikriegsbewegung zu unterstützen. 

Die Möglichkeit, «Posle» finanziell zu unterstützen, befindet sich derzeit noch im Aufbau. Wer mehr über das Projekt wissen will, findet hier alle Informationen.