WOZ-Abstimmungsblog

Die Ehe ist jetzt für alle da

Illustration: Ruedi Widmer

Auch dass die bürgerliche Ehe als Institution überholt ist, spricht nicht dagegen, dass sie allen erlaubt sein sollte: Eine erfreuliche Mehrheit der Stimmberechtigten sieht das genauso.

Hätte eine mit Schweizer Politgewohnheiten nicht vertraute Person die Abstimmungskampagne gegen die Ehe für alle von aussen verfolgt, wäre sie wohl zum Schluss gekommen, dass dieses Land vor dem Sprung in die vaterlose Gesellschaft steht: Als solle hier demnächst verboten werden, dass Kinder Väter haben, und wenn sie doch einen hätten, wäre er in Wirklichkeit eine Frau oder träte nur als Mumie in Erscheinung. 

Nun ist es immer schwierig, argumentativ dagegenzuhalten, wenn sich — wie in der gegnerischen Kampagne — Menschen aus ideologischen und/oder religiösen Gründen der gesellschaftlichen Realität verweigern. Es kann mitunter wütend oder bestenfalls einfach hilflos machen. Umso erfreulicher ist das Ergebnis der Abstimmung: 64,1 Prozent der Stimmberechtigten haben erkannt, dass die gesetzliche Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Menschen längst überfällig ist.

Alle erwachsenen Menschen werden jetzt in der Schweiz die Möglichkeit haben, einen Ehevertrag zu schliessen, wenn sie das möchten. Und Kinder in gleichgeschlechtlichen Ehen haben nun die Chance, durch Adoption mit ihren Bezugspersonen verwandt zu sein. Zu guter Letzt wird jetzt zudem endlich die absurde Notwendigkeit wegfallen, bei Zivilstandsangaben mit «in eingetragener Partnerschaft» immer gleich auch noch die sexuelle Orientierung bekannt geben zu müssen, wie es bisher der Fall war. 

Hart umstritten war die Samen- oder besser Spermaspende, die seit zwanzig Jahren ausschliesslich Heteropaaren erlaubt ist. Dass diese nun auch lesbischen Paaren offensteht, entspricht nur dem Anspruch auf Rechtsgleichheit. Wer grundsätzlich will, dass Kinder nur bei Liebesakten zwischen Heterosexuellen gezeugt werden und dann auch beim leiblichen Vater aufwachsen, müsste nicht nur Samenspenden, sondern auch das Alleinerziehen und Scheidungen verbieten.

Laut Studien der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) von 2017 und 2019 halten rund zehn Prozent der SchweizerInnen Homosexualität für unmoralisch. Doch da offene Homophobie hierzulande glücklicherweise nicht mehr akzeptiert wird, argumentierten die GegnerInnen der Ehe für alle halt klandestin mit dem Kindeswohl — vermutlich vor allem in jenen Kreisen, die sich noch im Dezember 2020 im Nationalrat dagegenstemmten, ein Verbot von Körperstrafen bei Kindern ins Zivilgesetzbuch aufzunehmen. 

Auch dass die Ehe als bürgerliche Institution überholt ist, spricht nicht dagegen, dass sie allen erlaubt sein sollte. Wie vieles auf der Welt muss ja niemand etwas machen, nur weil es erlaubt ist. Aber manches nur den einen zu erlauben, den anderen aber nicht, ist eines Rechtsstaats nicht würdig.