Durch den Monat mit Patricia Purtschert (Teil 3): Hatten Sie auch mit diesem Misstrauen zu tun?

Nr. 37 –

Die LGBTQ-Bewegung habe an Radikalität verloren, sagt Patricia Purtschert. Nach der Abstimmung über die Ehe für alle wünscht sie sich, breiter über Liebe und Beziehungsformen diskutieren zu können.

«Das Instrument der Stiefkindadoption ist Ausdruck dieses Misstrauens gegenüber ­homosexuellen Paaren»: Patricia Purtschert.

WOZ: Patricia Purtschert, oft wird mit dem Kindeswohl gegen die Ehe für alle argumentiert. Ist es schwierig, dagegen anzukommen?
Patricia Purtschert: Der Begriff hat im Moment eine schon fast magische Wirkung – dabei ist es sehr problematisch, wie er benutzt wird und für welche Argumente man ihn ins Feld führt. Vor allem, wenn es darum geht, bestimmte Familienkonstellationen abzuwerten oder sie zu verunmöglichen. Das führt zu absurden Argumenten, die höre ich immer wieder: Es sei immer noch besser, homosexuelle Paare würden Kinder aufziehen, als etwa drogensüchtige Menschen. Da werden marginalisierte Menschen gegeneinander ausgespielt: Wer sagt denn, dass eine Frau, die Drogen konsumiert, keine gute Mutter sein kann? Und uns wird gesagt, wir seien immerhin noch besser als die schlechtesten Heteros.

Sie und Ihre Partnerin sind nach einem langen Prozess der Stiefkindadoption nun beide anerkannte Eltern ihrer Kinder. Hatten Sie da auch mit dieser Art von Misstrauen zu tun?
Schon das Instrument der Stiefkindadoption ist Ausdruck dieses Misstrauens. Es ist dafür gemacht, dass ein Elternteil, der später zur Familie stösst, offiziell als Vater oder Mutter anerkannt wird. Aber in unserem Fall lebt die nichtleibliche Mutter genauso wie die leibliche mit dem Kind seit seinem ersten Tag auf dieser Welt zusammen. Sie wird auf Herz und Nieren geprüft: ob sie einen Bezug habe zu ihrem Kind, wie gut sie es kenne und so weiter. Diese Befragungen sind verletzend, auch für die Kinder. Es ist nicht einfach, ihnen zu erklären, was da überhaupt vor sich geht.

Was ist die Rolle der Kinder dabei?
In einigen Kantonen werden Kindsanhörungen durchgeführt, bei denen die Eltern nicht dabei sein dürfen. Das mag in manchen Fällen sinnvoll sein, wenn ein Elternteil erst vor kurzem zur Familie gestossen ist. Für viele lesbische Mütter ist es aber schwierig, ihre Kinder alleine da reinzuschicken, weil sie im Vorfeld vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht haben mit BehördenvertreterInnen, die auf diesem Gebiet oft nicht geschult und zu wenig sensibilisiert sind.

Was heisst das?
Sie sprechen dann zum Beispiel vom Vater, auch wenn in der Familie andere Begriffe verwendet werden. Ich kenne ein lesbisches Paar, das den Adoptionsprozess abgebrochen hat, weil sie das ihrem Kind nicht antun wollten. In diesem Zusammenhang dann vom «Kindeswohl» zu sprechen und von möglichen Schäden, die die Kinder durch ihre homosexuellen Eltern davontragen könnten, ist schon zynisch. Dieses Beispiel zeigt im Übrigen auch, wie eng unser Blick als Gesellschaft auf Beziehungen und die Familie ist. Hier gäbe es doch eigentlich so viele Visionen und Utopien, die wir diskutieren könnten.

Ist die LGBTQ-Bewegung heute weniger radikal? Wenn nun die Ehe für alle gefordert wird, statt den Blick weiter aufzutun …
Der Kampf um diese Rechte ist wichtig. Aber er hat uns auch dazu gezwungen, uns mit den Institutionen auseinanderzusetzen, uns vielleicht auch ein Stück weit damit zu arrangieren. Lange Zeit wurden wir pathologisiert. Viele wollen nun aus der «perversen» Ecke raus, sich normalisieren – da ist viel an Radikalität verloren gegangen. Vielleicht hilft ja die rechtliche Gleichstellung, dass wir uns nachher wieder anderen Fragen zuwenden können. Es existieren diverse Entwürfe von Familie – homo- oder heterosexuelle Patchworkfamilien, wo die Zweielternschaft nicht mehr greift, mehrere Bezugspersonen für Kinder da sind, etwa in grossen Wohngemeinschaften. Diese Formen sind in der Vorlage für die Ehe für alle nicht berücksichtigt. Dabei geht es hier um wichtige Fragen: Wie wollen wir uns als Gesellschaft organisieren? Wieso ist die Ehe so zentral?

Wie könnte man Beziehungen anders juristisch regeln?
Das ist keine einfache Frage, es gibt auch in der Forschung ganz unterschiedliche Vorschläge und Ansätze dazu. Es ist vor allem wichtig, überhaupt darüber zu reden. Also auch davon auszugehen, dass die Ehe als Organisationsform nicht in Stein gemeisselt ist, dass wir im Grunde die Macht hätten, vieles zu ändern. Wir können uns zum Beispiel fragen: Wer ist wie verletzlich oder verwundbar – und hat deswegen welche Bedürfnisse? Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und so weiter – wie regeln wir diese Beziehungen, wer möchte und wer benötigt welchen Schutz? Müssen wir Liebe, Sexualität, Elternschaft so koppeln, wie wir es im Moment tun? Und ob es dann immer ein juristisch geregelter Vertrag ist, der die Probleme lösen kann – da bin ich mir nicht sicher.

Wäre Ihnen eine nichtstaatlich organisierte Form von Beziehungen lieber?
Wir müssen uns auf jeden Fall fragen, was die Rolle des Staates ist: Wo soll er Beziehungen stützen, wo soll er sie regeln können oder dürfen – und wo nicht? Wo soll er Regelungen anbieten und wo nicht? Ergibt es tatsächlich Sinn, mit Zwang zu operieren? Wir müssten mit ganz vielen Leuten reden, sie fragen, was sie brauchen, was die Bedürfnisse in ihrem Beziehungsalltag sind. Die Leute leben alles Mögliche, und doch werden sie am Ende in ein enges Kästchen gequetscht.

Patricia Purtschert ist Philosophin, Kulturwissenschaftlerin, Koleiterin des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung in Bern, queere Aktivistin und Mutter.