Die ausgebliebene Uno-Resolution: Verpasste Chancen

Der «Sieg» der «Führungsmacht» USA zeigt ihre Schwäche und Isolation. Aber auch andere machten Fehler.

Die Uno und ihr Sicherheitsrat haben sich in der Irak-Krise als ohnmächtig und handlungsunfähig erwiesen. Sie sind geschwächt und spielen keine relevante Rolle mehr in der Weltpolitik. Diese wird allein von den USA bestimmt, die sich künftig gar nicht mehr um die Zustimmung der Uno bemühen werden.

So und ähnlich lauten vielerorts das resignierte Urteil und die Prognosen. Sicher: Das Kriegsultimatum, mit dem die Bush-Regierung Anfang der Woche den Sicherheitsrat und den Uno-Generalsekretär zur Aufgabe aller Bemühungen um eine friedliche Abrüstung Iraks sowie zum Rückzug aller Waffeninspekteure genötigt hat, ist ein Vorgang ohne Beispiel in der 94-jährigen Geschichte der Uno und ihres Vorgängers Völkerbund. Doch dieser Vorgang demonstriert nicht etwa die Stärke der einzig verbliebenen Weltmacht, sondern ihre Schwäche und Isolation.

Es war den USA vor diesem erpresserischen Kraftakt nicht gelungen, im Sicherheitsrat eine Mehrheit für ihren Entwurf einer Kriegsermächtigungs-Resolution zu organisieren. Zu keinem Zeitpunkt in den letzten Wochen hätte es bei einer Abstimmung über diesen Entwurf mehr als vier Ja-Stimmen gegeben. Alle anders lautenden Behauptungen aus der Bush-Regierung waren Zwecklügen und Propaganda. Die USA haben ein diplomatisches Waterloo erlebt. Selbst mit wochenlangem massivem politischem und wirtschaftlichem Druck insbesondere auf die kleinen, schwachen und von Wirtschaftshilfe, Handelspräferenzen und Investitionen der USA ganz besonders abhängigen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates ist es der Bush-Regierung nicht gelungen, das höchste Uno-Gremium auf Kriegskurs zu bringen. Dass Kamerun, Guinea, Angola sowie Chile, Mexiko und Pakistan dem Nötigungsdruck aus Washington standgehalten haben und sich nicht zu einer Ja-Stimme für den Krieg zwingen liessen, das war ein Sieg des Sicherheitsrates und der Institution Uno über ihr mächtigstes Mitglied.

Es ist der Bush-Regierung in der Schlussphase des Vorspiels zum dritten Golfkrieg gelungen, ihre eindeutige Hauptverantwortung für das Scheitern aller Bemühungen im Sicherheitsrat um eine friedliche Abrüstung Iraks ein Stück weit auf andere Ratsmitglieder abzuwälzen, vornehmlich auf Frankreich.

Die Vetoankündigung Frankreichs und Russlands wurde von der Bush-Regierung als «Obstruktion» denunziert – was allerdings keine besonders glaubwürdige Kritik seitens der Regierung der USA ist, die die Instrumente Veto und Vetodrohung seit Gründung der Uno häufiger eingesetzt haben als jedes andere ständige Mitglied des Sicherheitsrates. Washingtons Behauptung, Paris habe bis zuletzt auf einem Veto gegen jedwede Variante einer Kriegsermächtigungs-Resolution beharrt und damit «alle Chancen auf eine Einigung im Sicherheitsrat zerstört», ist reine Propaganda. Schon allein deshalb, weil Frankreich bereits in dem (gemeinsam mit Russland und Deutschland verfassten sowie von China unterstützten) Memorandum für eine friedliche Abrüstung Iraks vom 24. Februar militärische Massnahmen ausdrücklich nicht ausgeschlossen, sondern als «letzte Option» bezeichnet hatte – als «letzte Option» für den Fall, dass Bagdad auch nach einer mindestens viermonatigen Phase deutlich intensivierter Waffeninspektionen immer noch nicht alle Abrüstungsauflagen erfüllt haben sollte.

Doch hat diese Propaganda der Bush-Regierung sowohl in den USA wie in Teilen der europäischen Öffentlichkeit ihre Wirkung nicht verfehlt. Frankreich, Russland, Deutschland und China hätten das verhindern können, wenn sie ihre Vorstellung von einer friedlichen Abrüstung Iraks durch ein intensiviertes Inspektionsregime als Resolutionsentwurf eingebracht und im Sicherheitsrat zur Abstimmung gestellt hätten. Ein solcher Resolutionsantrag wäre zwar am Veto der USA sowie wahrscheinlich auch Britanniens gescheitert. Doch er hätte unter den fünfzehn Ratsmitgliedern mit Sicherheit eine deutliche Mehrheit erhalten – bis hin zu elf Ja-Stimmen. Damit wäre ganz klar und für die Geschichtsschreibung aktenkundig geworden, wo die von der Bush-Regierung vergeblich angestrebte «moralische Mehrheit» des Sicherheitsrates tatsächlich steht. Warum die Regierungen in Paris, Moskau, Berlin und Peking auf die Einbringung eines solchen Resolutionsentwurfes verzichtet haben, ist bislang noch ihr Geheimnis.

Stärker als bei irgendeinem anderen Thema, das die Uno seit Ende des Kalten Krieges beschäftigte, hat sich in den letzten fünf Monaten der Irak-Debatte auch die Generalversammlung zu Wort gemeldet. Dreimal fand auf Antrag der (zunächst noch von Südafrika und seit Anfang des Jahres von Malaysia geführten) Gruppe der 116 «blockfreien Staaten» eine mehrtägige öffentliche Debatte statt, an der sich jeweils zwischen 80 und 120 Uno-Mitglieder beteiligten. Dabei wurde die Isolation der USA noch deutlicher als im Sicherheitsrat.

Nur eine Hand voll der 191 Uno-Staaten (Australien, Japan, Italien, Israel, Polen) unterstützte bei diesen Debatten den Kriegskurs der Bush-Regierung. Doch auch die Mitglieder der Generalversammlung scheuten letztlich davor zurück, mit dem Mittel einer eigenen Resolution (nach dem Vorbild der «United for Peace»-Resolution während der Koreakrise im Jahre 1950) in den IrakKonflikt einzugreifen. Damit vergaben sie die Chance, stärkeren Einfluss auf den weiteren Verlauf des Konfliktes zu nehmen. Insbesondere Südafrika hatte die Option, der Generalversammlung einen entsprechenden Resolutionsantrag vorzulegen, in den letzten Wochen zwar erwogen, zuletzt aber aus Angst vor Repressalien der USA doch aufgegeben. Denn eine Resolution der Generalversammlung wäre in völligem Widerspruch zur Politik der Bush-Regierung gestanden.