Iraks Angebot stört die Kriegspläne nur kurzfristig: Nach Washingtons Pfeife

Sie sei bereit, die Waffeninspektions-Kommission der Uno (Unmovik) «ohne Bedingungen» ins Land zu lassen, erklärte die irakische Regierung am Dienstag in einem Brief an Uno-Generalsekretär Kofi Annan. Damit hat sie eine Reihe von Forderungen aus ihren bisherigen Verhandlungen mit Annan fallen gelassen. All diese Forderungen waren durchaus legitim: insbesonders jene nach einem Zeitplan für die Veröffentlichung künftiger Inspektionsergebnisse sowie nach einer multilateral ausgewogen besetzten anstatt von amerikanischen und britischen Militärs und Agenten dominierten Unmovik. Die Forderungen waren konform mit der für die Arbeit der Unmovik relevanten Resolution 1284 des Uno-Sicherheitsrates vom November 1999. Und sie waren ebenso konform mit der Resolution 687, in der der Rat zum Ende des Golfkrieges im April 1991 die Verschrottung aller irakischen Massenvernichtungswaffen unter internationaler Kontrolle angeordnet und wirtschaftliche Sanktionen zur Durchsetzung dieser Forderung gegen Irak verhängt hatte. Die Erfüllung der jetzt von Bagdad fallen gelassenen Forderungen hätte künftige Inspektionen in keiner Weise eingeschränkt oder in ihrer Wirksamkeit begrenzt. Dennoch war es der Regierung Bush in den letzten Monaten gelungen, ihre Sprachregelung von den «inakzeptablen Vorbedingungen» Bagdads international durchzusetzen.

Mit dem Schreiben aus Bagdad ist die Gefahr eines erneuten Irak-Krieges keineswegs gebannt. Das zeigen die Reaktionen aus Washington und London, in denen der Brief bereits wenige Stunden nach seiner Veröffentlichung als «Zeitschinderei» und «taktisches Manöver» abgetan wurde. Ob er das tatsächlich ist, kann nur die schnelle Probe aufs Exempel zeigen. Die Unmovik ist bereits seit Wochen einsatzbereit. Ihr Vorausteam, das laut Resolution 1284 zur Abklärung noch offener praktischer Modalitäten bis zu sechzig Tage im Irak bleiben soll, könnte bereits in den nächsten Tagen nach Bagdad fliegen. Doch dieses Szenario wird nur Realität, wenn die bislang nur rhetorisch kriegsunwilligen europäischen Staaten gemeinsam mit Russland und China im Uno-Sicherheitsrat jetzt endlich handeln.

Konkret: Sie müssten alle über die Resolutionen 1284 und 687 hinausgehenden Zusatzbedingungen, die Washington jetzt im Sicherheitsrat durchsetzen will, um die irakische Regierung doch wieder zur Ablehnung der Waffeninspektionen zu bewegen, schnell und eindeutig zurückweisen. Zum einen versucht die US-Regierung, von Bagdad bislang nicht vollständig erfüllte Forderungen aus anderen Irak-Resolutionen des Rates (etwa nach Aufklärung des Schicksals der noch vermissten kuweitischen Gefangenen aus dem Golfkrieg) zum Vorwand für einen neuen Krieg aufzubauen. Und die Bush-Regierung verlangt einen robusten militärischen Begleitschutz für die Unmovik. Über dieses Thema braucht der Sicherheitsrat erst dann zu diskutieren, wenn Bagdad bei den Gesprächen mit dem Unmovik-Vorausteam neue Bedingungen formulieren sollte, die den Resolutionen 1284 und 687 widersprechen, oder wenn die irakische Regierung die Waffeninspekteure bei ihrer Arbeit vor Ort behindert. Doch die Aussichten, dass Europäer, Russen und Chinesen im Sicherheitsrat jetzt endlich den Grad an Konfliktbereitschaft mit den USA aufbringen, der ihnen realen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Dinge verschaffen würde, sind nicht sehr rosig. Zu gross war die Erleichterung, mit der sie Präsident George Bushs Rede vor der Uno-Vollversammlung letzte Woche begrüssten als eine vermeintliche Rückkehr der USA auf den Pfad der multilateralen, völkerrechtskonformen Tugend. Tatsächlich war diese Rede nur ein kaum verhülltes Ultimatum an die Uno, in der Irak-Frage entweder völlig nach der Pfeife Washingtons zu tanzen oder künftig von den USA noch mehr marginalisiert zu werden als bereits seit dem Golfkonflikt der Jahre 1990/91 geschehen.

Selbst die rein rhetorische Ablehnungsfront gegen einen neuen Krieg am Golf dürfte bereits in der kommenden Woche weiter abbröckeln. Deutschland wird sich dem Kriegskurs der USA wieder annähern. Und zwar egal, ob bei den Wahlen am Sonntag die Regierung Schröder/Fischer dank ihrer sehr plötzlich entdeckten Gegnerschaft zu diesem Kurs als Vorkriegsgewinnler das Rennen macht oder ob Oppositionskandidat Edmund Stoiber siegt. Und am Dienstag wird die britische Regierung ihr seit langem angekündigtes «Beweisdossier» veröffentlichen, das die «akute Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen» ebenso belegen soll wie Bagdads «Unterstützung für den internationalen Terrorismus».

Unabhängig davon, wie stichhaltig diese «Beweise» ausfallen werden: Allein der Vorgang als solcher dürfte die gewünschte Wirkung auf die öffentliche Meinung kaum verfehlen. Erinnert sei an ein ähnliches, sehr erfolgreiches Manöver der Regierung Blair im Oktober letzten Jahres mit Blick auf die Hintermänner der Anschläge vom 11. September. Doch letztlich geht es der Bush-Regierung überhaupt nicht um Beweise und die Durchsetzung von Waffeninspektionen im Irak. Ihr Ziel ist die Beseitigung Saddam Husseins und seiner Baath-Partei von der Macht und die Installierung eines amerikafreundlichen Regimes, das die Ölverträge Bagdads mit russischen, europäischen und chinesischen Konzernen annulliert und stattdessen Verträge mit US-Firmen abschliesst.

Die Irak-Politik ist wesentlicher Teil einer strategischen Neuordnung des Nahen Ostens, für die der in Washington heute wieder sehr einflussreiche ehemalige Vizechef des Pentagons, Richard Perle, bereits 1996 die Blaupause schrieb. In einem Beratungspapier für den damals frisch gewählten israelischen Premier Benjamin Netanjahu empfahl Perle als ersten Schritt der strategischen Neuordnung die (inzwischen erfolgte) Zerstörung des Oslo-Friedensprozesses. Der anzustrebende Machtwechsel in Bagdad werde den Kollaps der regierenden Baath-Partei in Syrien beschleunigen. Damit gerate der Libanon endgültig wieder unter Kontrolle Israels und der USA. Die (infolge des 11. September eingetretene) Entfremdung zwischen den USA und Saudi-Arabien wurde von Perle 1996 ebenso antizipiert wie ein Sturz der Monarchie in Riad durch die islamistische Opposition. Die bisherige Rolle Saudi-Arabiens als wichtigster Partner der USA in der Region (neben Israel) und verlässlicher Öllieferant müsse dann künftig der Irak übernehmen. Dass die Europäer diese strategische Dimension der amerikanischen Irak-Politik noch nicht erfasst haben, ist ein wesentlicher Grund für ihre Handlungsunfähigkeit in der aktuellen Krise.