François Ozon: Liebe zwischen Himmel und Hölle

Der französische Regisseur, der seit 1997 mindestens einen Film pro Jahr dreht, verfolgt in seinem neuen Werk «5 x 2» im Rückwärtsgang die Stationen einer Ehe.

Das letzte Mal, als uns ein französischer Regisseur eine Geschichte rückwärts erzählte, führte sie vom Knast durch die Hölle in den Himmel, und Gaspar Noé liess in «Irréversible» kein Bild aus, um zu zeigen, was diese Stichworte bedeuten: Wir mussten anschauen, wie einem Mann mit einem Feuerlöscher das Hirn aus dem Kopf geschlagen wurde, wie eine Frau in einer Unterführung brutal vergewaltigt wurde, um schliesslich auf einer Blumenwiese zu landen, auf der Kinder unter Wassersprengern spielten.

Wenn nun François Ozon das gleiche Erzählformat für die Geschichte einer Ehe benutzt, befürchtet man das Schlimms­te, weil auch Ozon nicht eben zu den zimperlichen Filmemachern gehört: Schon in seinem ersten Spielfilm von 1997, «Regarde la mer», kokettierte er zunächst mit einer Urlaubsstimmung, um schnell die Untiefen der zwischenmenschlichen Beziehungen auszumessen: Eine wohlhabende Gattin verbringt mit ihrem Töchterchen den Sommer im Landhaus, der Mann ist fern, als eine Tramperin auftaucht. Was anfangs Ansätze zu einer homoerotischen Beziehung zeigt, endet mit einem brutalen Mord.

Wie etwas geschieht

In «5 x 2» interessiert sich Ozon nicht länger für die psychologische Konsequenz seiner Figuren, noch weniger erlaubt er ihnen eine kathartische Befreiung. Ihn interessiert schlicht, wie etwas geschieht. Deshalb unterschreiben Marion (Valeria Bruni-Tedeschi) und Gilles (Stéphane Freiss) in der ersten Sequenz des Films ihren Scheidungsvertrag und gehen später in ein Hotel, um möglicherweise ein letztes Mal miteinander zu schlafen. Die zweite Einstellung zeigt sie in der gemeinsamen Wohnung, der Sohn wird zu Bett gebracht, ein weiteres Paar, zwei Männer, erscheint zum Abendessen. Der nächste Ausschnitt aus der Biografie zeigt die hochschwangere Marion, die schliesslich per Kaiserschnitt von einem Sohn entbunden wird; Gilles hingegen traut sich nicht in die Klinik. Ein nächster Schritt zurück lädt uns zur Hochzeit ein – während zunächst ausgelassen gefeiert wird, sinkt Gilles später im Hotelzimmer in einen tiefen Schlaf, doch Marion schleicht sich in den Garten und ergibt sich den Avancen eines attraktiven Amerikaners. Die letzte und erste Szene einer Ehe zeigt das Paar in einem Cluburlaub, zu dem Gilles mit einer anderen Frau angereist ist. Der Film entlässt uns in eine Katalogidylle, in der Gilles und Marion Hand in Hand einem Sonnenuntergang entgegengehen.

Zur Bebilderung seiner Geschichte bedient sich Ozon bei filmischen Vorlagen – ist die erste Sequenz bei Ingmar Bergmans «Szenen einer Ehe» abgeschaut, so könnte die zweite aus nahezu jedem Chabrol stammen. Vor dem Dreh der Hochzeitsszene habe man sich Michael Ciminos «The Deer Hunter» und Sergio Leones «Once upon a time in America» angeschaut, erzählt Valeria Bruni-Tedeschi freimütig. Und auch Ozon amüsiert sich prächtig, dass «wir anfangen wie Bergman und aufhören wie (Claude) Lelouch».

Keine Frage, der 37-jährige Ozon, der schon in seiner Jugend eine Vielzahl von Super-8-Filmen drehte und schliesslich die Pariser Filmhochschule besuchte, kennt die Filmgeschichte: «8 Femmes» (2002) wäre ohne die Vorlagen von George Cukor nie entstanden, in «Gouttes d’eau sur pierres brûlantes» (2000) servierte er ein Stück von Rainer Werner Fassbinder mehr als kaltblütig: Streng wie sein Vorbild kadriert Ozon seine Personen, er fotografiert aus Türbogen, durch Fensterrahmen. Das engt nicht nur den Handlungsspielraum der Personen ein, sondern begrenzt auch unser Blickfeld und zwingt uns in die Position eines Voyeurs. Im Gegensatz zu Fassbinders Authentizität aber unterstreichen die Ozon’schen Zitate das artifizielle Studioarrangement. Die Leinwand lebt nicht, sie gibt sich als Laborversuch, in dem die Ratten früher oder später mit Klauen und Zähnen aufeinander losgehen. Ozon blieb distanziert, zynisch.

Und auch «5 x 2» wirkt über ganze Passagen wie eine kühle Versuchsanordnung, die das Paar an den wichtigen Stationen einer Ehe beobachtet, und an jeder dieser Stationen kann man sich denken, woran die Beziehung der beiden gescheitert ist. Aber die Entwicklung ist keineswegs zwangsläufig, so wenig wie man in Ozons «Sous le sable» (2000) je erfahren hat, warum der Gatte von Charlotte Rampling, der eines Morgens schwimmen geht, nie wieder zurück­kehrt: «Es genügt, Spuren zu legen, ohne ihnen ganz zu folgen und es so dem Zuschauer zu überlassen, eine eigene Lösung zu finden – im Mysterium von Charlottes Gesicht», erzählt Ozon.

Brutale Sprachlosigkeit

Ähnlich viel hängt nun in «5 x 2» an den SchauspielerInnen, Stéphane Freiss und Valeria Bruni-Tedeschi. Freiss lässt mit seinem harten Spiel viel von einer Unterdrückung jedweder Gefühle ahnen, seine einzige Artikulationsmöglichkeit scheint der Sex: Mal prahlt er nur mit seiner Promiskuität, ein anderes Mal macht er seiner Partnerin klar, dass er eigentlich an eine andere denkt, wenn er mit ihr schläft. Und schliesslich vergewaltigt er seine Exgattin. Nicht zuletzt diese brutale Sprachlosigkeit macht den Mann zum Verlierer, während seine Partnerin in jeder Einstellung schöner wird. Bruni-Tedeschi: «Bislang hatte ich oft Personen gespielt, die sich tendenziell als Opfer ihrer Neurosen sahen. Fran­çois hat mir diese bewährte Stütze weggenommen. Schön zu sein, heisst vor allem, sich selbst zu erlauben, schön zu sein. Es ist eine Art, sich nicht zu verstecken, sich nicht zu schämen, den Kopf zu heben, sich aufrecht zu halten und nach vorne zu gehen.»

Es ist diese Gratwanderung zwischen Romantik und Distanz, die den Film über weite Strecken trägt: Zwischen Himmel und Hölle liegt bei Ozon nicht (wie bei Gaspar Noé) ein ganzer Film, sondern nur ein Atemzug. «Wir neigen dazu, Paare, die glücklich sind, einfach für blind zu halten», hat Ozon zu Protokoll gegeben. Und einen Film gedreht, in dem man sich Glück und Unglück gleichzeitig anschauen kann.

5 x 2. Regie: François Ozon. F 2004