Israel: Die Ausrichtung der parlamentarischen Linken: Das Malheur der Sozialdemokratie
Einige der klügsten Köpfe der moderaten israelischen Linken bereiteten im Geheimen die grosse Überraschung vor: die Geburt einer neuen sozialdemokratischen Partei. Gerade als sie bereit schienen, den grossen Schritt zu vollziehen, ereignete sich ein kleines Malheur, das ihre cleveren Pläne durchkreuzte. In der alten Arbeitspartei tauchte plötzlich ein neuer Hoffnungsträger auf, und der schien ziemlich links zu sein.
In Wahrheit zeigten schon die Vorbereitungen zur Parteigründung die Schwächen des Projekts. Vorangetrieben wurde es von Leuten aus dem Umfeld der Merez-Partei. Sie planten von Anfang an sorgfältig, die neue Schöpfung zu kontrollieren. Die Merez-Partei ist nach israelischen Begriffen links. Das heisst, dass sie sich grundsätzlich dem Frieden im Nahen Osten verschrieben hat. Ihr soziales und wirtschaftliches Programm ist jedoch verschwommen und weit von linken Positionen entfernt. Selbst wenn sie einige sinnvolle Projekte in Bildung und Wohnungsbau unterstützt, vertritt sie ein marktwirtschaftliches Konzept. Schlimmer noch: Aufgrund ihrer sozialen Zusammensetzung und ihrer Anliegen ist sie den armen Menschen und den marginalisierten Gruppen in der israelischen Gesellschaft weitgehend entfremdet. Ihre AnhängerInnen sind in der Regel aschkenasische Juden und Jüdinnen aus der Mittelklasse. Nur wenige orientalische Juden und Jüdinnen unterstützen sie. In den Augen vieler armer Israelis sind die MerezlerInnen europäische Juden, womöglich Verräter, antireligiös, die Araber liebend und die armen, unterdrückten Juden in Israel hassend.
Die SozialdemokratInnen hofften auf den Zerfall der an der Regierungskoalition beteiligten Arbeitspartei. Führende Persönlichkeiten sollten zur neuen Partei wechseln. Dadurch wäre eine Art kritischer Masse erreicht, attraktiv genug für viele Unzufriedene. Die Leute von Merez begannen mit der friedensbewegten Gruppe Peace Now zu flirten und mit Gruppen und Grüppchen mit sozialen Anliegen. Eine andere Hoffnung richtete sich auf Menschen wie Roman Bronfman, einen intelligenten Parlamentarier, der die Partei der russischen ImmigrantInnen von Anatolij Scharanskij verliess. Bronfman führt heute eine kleine unabhängige Partei an und unterstützt verbal diejenigen, die den Armeedienst in den besetzten Gebieten verweigern. Das ist für die moderaten und vorsichtigen MerezlerInnen allerdings schon etwas viel. Und dann begann Bronfman sogar darüber zu sprechen, dass es notwendig sei, die Kommunistische Partei oder andere arabische politische Gruppierungen in die neue Partei zu integrieren. Trotzdem ist ein Russe ein gewichtiger Vorteil, und so blieb Merez mit Bronfman im Gespräch.
Innerhalb der Arbeitspartei ist die Sache komplizierter. Manchmal glich das Innenleben der Partei einer Komödie, manchmal einer Tragödie. Jedenfalls wurde es nie langweilig. Nachdem am 23. Juli ein mutmasslicher palästinensischer Terrorist von der israelischen Luftwaffe getötet worden war und dabei auch fünfzehn ZivilistInnen – darunter neun Kinder – gestorben waren, schrieb der Politikwissenschaftler Zeev Sternhell in der Tageszeitung «Haarez» einen scharfen Artikel: Wenn es denn Pläne für eine Koalition mit dem Friedenslager gebe, dann sei an diesem Tag, mit diesen Morden, eine Art Wasserscheide erreicht. Menschen, die nun noch in der Arbeitspartei verblieben, die als Regierungspartei Partnerin solcher Verbrechen sei, könnten nicht mehr zu einer Koalition für den Frieden gehören.
Doch in der Arbeitspartei ging alles weiter wie vorher. Der Parteivorsitzende Benjamin Ben Eliezer blieb Verteidigungsminister in der Regierung von Ariel Scharon und damit verantwortlich für das Treiben der Armee und die Repression in den besetzten Gebieten. Friedensnobelpreisträger Simon Peres blieb Aussenminister und dient als modische moderate Verkleidung einer fundamentalistischen Regierung, die Frieden oder Verhandlungen ablehnt. Ben Eliezer präsentiert sich als Taube. Er inszenierte eine hübsche Farce um die Räumung illegaler Siedlungen in den besetzten Gebieten. Nach internationalem Recht sind sämtliche Siedlungen illegal – Ben Eliezers Stück handelte aber nur von einigen von der israelischen Regierung nicht bewilligten, oftmals unbewohnten Aussenposten.
Der orientalische Jude Ben Eliezer wirkt auf viele orientalische Juden und Jüdinnen, die die Arbeitspartei für «zu aschkenasi» und antiorientalisch halten, anziehend. Sein grösster Gegner ist der frühere «supermoderate» Haim Ramon. Ramon ist zwar nicht Minister, aber er wirkte an der Bildung der Regierungskoalition mit. Heute vertritt er die gefährliche Formel der «grossen Mauer», die Israelis und PalästinenserInnen trennen soll und die nur eine etwas entwickeltere Form anhaltender Besetzung ist.
Die neuen SozialdemokratInnen hofften, den friedliebenden, sensiblen früheren Minister Josi Beilin gewinnen zu können. Doch der wartet auf den Ausgang der Konfrontation zwischen Ben Eliezer und Ramon. Wenn Ben Eliezer gewinne, sagt der Anführer der israelisch-arabischen «Friedenskoalition», dann verlasse er die Partei. Dann würde er also zu den neuen SozialdemokratInnen gehen. Doch wenn Ramon gewinnt, ist für Beilin alles offen. Warum? Bitte fragen Sie nicht. Es geht dabei nur um Macht, und für viele orientalische Juden und Jüdinnen beweist das einmal mehr, dass Beilin ein simpler Orientalenhasser ist und bleibt.
Das tönt recht einfach. Ist es aber nicht. Die Arbeitspartei schneidet in Umfragen extrem schlecht ab, egal, wer ihr Spitzenkandidat ist. Doch das Wunder geschah doch noch. Der vergleichsweise junge, attraktive Stadtpräsident von Haifa, ein früherer General, gab seine Kandidatur bekannt, und sofort änderten sich die Umfrageergebnisse. Amram Mitzna kommt! Mitzna besitzt Charme. Mitzna sagt, die Lage sei schlecht, und man müsse verhandeln. Mitzna ist erfolgreich in der Grossstadt Haifa. Und er besitzt einen grossen Vorteil: Er hat eigentlich keine Parteierfahrung. Er erscheint politisch sauber.
Mitzna war der grosse Dissident während des israelischen Kriegs im Libanon 1982. Als Generalleutnant wandte er sich gegen den Krieg und bot seinen Rücktritt an. Doch man überzeugte ihn, weiterzumachen und sich zu entschuldigen. Während der ersten Intifada bewahrte er sein Tauben-Image, selbst als er den Zentralen Kommandoabschnitt befehligte. In der Westbank, die seiner militärischen Rechtssprechung unterstand, wurden mehr PalästinenserInnen getötet als im Südlichen Kommandoabschnitt unter dem Falken General Izhak Mordechai. In den ersten zwei Wochen schnitt Kandidat Mitzna bei Umfragen gut ab.
In der Arbeitspartei wächst die Unterstützung für ihn. Ein nicht geringer Teil der Geschäftswelt unterstützt ihn ebenfalls. Seine wunderbare Erscheinung könnte das grosse sozialdemokratische Projekt bereits erledigt haben.