Journalistenaufstand bei der Jean Frey AG: Der «Beobachter» meutert

Die «Beobachter»-Redaktion droht mit Massenkündigung: Sie will von Jean Frey zu Ringier. Ringier ist erfreut – Jean Frey am Abgrund.

Hintergrundgespräch?», fragte das leitende Mitglied des «Beobachter»-Teams, wartete auf das bestätigende «Mmh» und fuhr fort: «Tja, was soll ich Ihnen sagen. Die Zeiten sind vorbei, da Journalisten brave Lämmer waren ... Aber ich gebe Ihre Nummer am besten der Redaktion weiter. Es kann sich nur um Minuten handeln, bis Sie zurückgerufen werden.»
Minuten später war einer der Aufständischen am Apparat - bestens gelaunt. Dies zu Recht: Eine Journalistenmeuterei hat es in der Schweiz schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Die letzte machten die «Luzerner Neuste Nachrichten», ironischerweise, weil sie von Ringier übernommen wurde. Während der «Beobachter» weg von Jean Frey und seinen unbekannten Investoren zu Ringier will. So stand es in einem offenen Brief an den VR-Präsidenten Christoph Richterich, der am Dienstagmorgen in der «Aargauer Zeitung» veröffentlicht wurde.

WoZ: Warum weg von Jean Frey? Der Meuterer: Es geht darum, dass der «Beobachter» ein Blatt ist, das von seiner Glaubwürdigkeit lebt. Das verlangt Unabhängigkeit und Transparenz. Die ist mit unbekannten Investoren – oder Investoren nahe des Arbeitgeberverbandes - nicht gegeben.

Aber gesetzt den Fall, dass glaubwürdige Investoren kämen?

Die Identität der Investoren ist nicht einmal die Frage. Der Faktor ist der: Wir wollen wieder zu einem Verlag, der ein Verlag ist. Also der verlegerisches Know-how hat, jemand, der vernünftige Investitionen tätigen kann.

Zugegeben: Weder Christoph Richterich noch sein CEO Filippo Leutenegger haben Erfahrung in der Verlagsbranche. Aber warum die Form des offenen Briefs? Warum keine Aussprache?

Wir haben Herrn Richterich bereits zweimal geschrieben. Er hat nie geanwortet.

Der Zeitpunkt, an dem der Brief veröffentlicht wurde, scheint genau getimt. Ist dieser nicht ziemlich präzise Sabotage?

Zieh den Schluss, den du daraus ziehen musst.


Dieser Schluss heisst: Es ist Sabotage. Die «Beobachter»-Redaktion hat Jean Frey in alle drei offenen Wunden getroffen: 1. Die Unerfahrenheit ihrer Köpfe, 2. Die absurde Situation mit unbekannten Investoren, 3. Pünktlich einen Tag, nachdem die Zeichnungsfrist für die zwei Millionen Aktien eröffnet wurde. Wer mit nur etwas Verstand sollte nun kaufen? Jean Frey ist ohne «Beobachter» nichts als ein Wrack. Die «Weltwoche» macht gigantische Verluste, der Rest stagniert, nur der «Beobachter» legt stetig an Auflage und Gewinn zu. Es sind nicht die Ratten, sondern die Milchkuh, die von Bord geht.


Macht die «Beobachter»-Redaktion ihre Drohung wahr und kündigt en bloc, ist Jean Frey tot.

Bis jetzt hoffen wir ja auf einen guten Ausgang. Ausserdem würden sicher nicht ganz alle kündigen ... nur viele.

Und was sagen Richterich und die restlichen Jean-Frey-Titel zum meuternden «Beobachter»?

Bis jetzt: gar nichts.

Dafür hat sich Ringier gemeldet.

Ja, wir haben von dem Angebot in der Zeitung gelesen. Ich denke, Ringier dürfte kein schlechtes Angebot machen.


Tatsächlich reagierte Ringier bereits innert Stunden - mit dem Vorschlag, unter seinem Dach einen «Neuen Beobachter» mit mehr oder weniger den gleichen Leuten herauszugeben - und Jean Frey nichts als eine leblose Hülle zu hinterlassen. (Sie müssen im Ringier-Hochhaus getobt haben vor Freude.)


Fühlt es sich gut an, zu revoltieren?

Wir machen hier keinen Klassenkampf. (Lacht.) Wir wollen ja nur einen neuen Besitzer. Ein vernünftiges Umfeld. Und wir vom «Beobachter» sind geschlossen hinter diesem Brief. Wir haben sehr viel debattiert. Wir diskutieren auch sonst jeden Artikel im Team - deshalb können wir das jetzt tun. Wir sind Journalisten und nicht Spekulationsobjekte. Unsere Reaktion ist eine Frage der Glaubwürdigkeit und des Stolzes.