Jugoslawien-Tribunal: Kriegsziel Kapitulation?

WoZ: Am Donnerstag vergangener Woche veröffentlichte das Uno-Kriegsverbrechertribunal seine Anklage gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Zwei Tage später verlangte die Nato von ebendiesem Milosevic eine persönliche Garantie dafür, dass Serbien die Bedingungen der G-8 für eine Einstellung der Bombenangriffe akzeptiert. Wird da die Öffentlichkeit oder wird das Gericht vorgeführt?

Thomas Fleiner: Man muss von einem Grundsatz der angelsächsischen Welt ausgehen. Er lautet: «Justice must be seen to be done.» Es kommt mit anderen Worten nicht darauf an, ob ein Gericht völlig unabhängig und völlig rechtsstaatlich vorgeht, sondern vor allem darauf, dass das Gericht glaubhaft ist und dass die Bevölkerung oder die Betroffenen glauben, dass das Gericht rechtsstaatlich vorgeht. Dies ist bei dieser Anklage aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt. Einmal, was den Zeitpunkt angeht – der Entscheid fiel in einer so elementaren Krise –, dann aber auch aufgrund der Tatsache, dass nach Angaben der Anklägerin Louise Arbour die meisten Beweismittel von einer Krieg führenden Partei stammen und die andere Seite nicht beachtet werden konnte. Es mag durchaus sein, dass die Anklägerin nach ihren eigenen moralischen Prinzipien völlig unabhängig vorgegangen ist. Sichtbar ist das aber nicht, und das macht die Anklage ausserordentlich fragwürdig.

Einen regierenden Staatschef gerichtlich zu belangen, könnte ja ein Schritt zur Zivilisierung der Welt sein – wenn da nicht stets der Verdacht einer politischen Funktionalisierung so nahe läge.
Dem widerspricht der Fall Pinochet, auch wenn er nicht mehr amtierender Staatschef ist. So sorgfältig wie in England die ganze Frage abgeklärt wurde, ka

Milosevic und seinen Mitangeklagten werden konkret 350 Morde vorgehalten, darunter die Opfer des Mitte Januar aufgedeckten Massakers von Racak. Reicht nach der Untersuchung der OSZE und den bisher verbreiteten Informationen über das Geschehen der Kenntnisstand für eine Anklage aus?
Die Anklägerin hat behauptet, sie habe viele zusätzliche Informationen aus Geheimdienstquellen erhalten. Und das ist schon das eigentliche Problem: Diese Geheimdienste haben heute alles Interesse daran, ihren Krieg zu legitimieren, indem sie die andere Seite, Milosevic, aber im Grunde auch das ganze serbische Volk, dämonisieren und moralisch zerstören. Sie sind an jeder öffentlichen Anklage interessiert, weil das umgekehrt ihre eigene Legitimation erhöht.

In der Anklage wird Milosevic auch seine spezifische Kriegführung, die Verfolgung aufgrund politischer, rassischer oder religiöser Gründe und die Deportationen, vorgeworfen. Müsste sich nach der gleichen Logik nicht auch die Nato in ihrer Kriegsführung – Stichwort: Splitterbomben – den Kriterien des Gerichts stellen?
Mary Robinson, die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, hat der Nato ja auch bereits entsprechende Vorwürfe gemacht. Das Gericht würde seine Glaubwürdigkeit völlig verlieren, wenn es nicht auch die andere Seite berücksichtigen würde. Inwieweit dann auch dabei wieder die Beweisprobleme auftauchen, ist eine andere Frage. Aber wenn eine Mary Robinson diesen Vorwurf der Menschenrechtsverletzung durch die Nato macht, kann das Gericht nicht einfach darüber hinweggehen.

Es ist schwer vorstellbar, wie mit dem so schwer beschuldigten Milosevic jetzt noch über eine Friedenslösung verhandelt werden soll. Hat das Gericht mit der Anklage also faktisch ein neues Kriegsziel bestimmt?
Wie die verschiedenen Nato-Staaten reagieren, kann ich natürlich nicht voraussehen. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei es eines der Ziele gewesen, die jugoslawische Führung so zu entrechten, dass man mit ihr nicht mehr verhandeln und damit das Kriegsziel der völligen Kapitulation erreichen kann.

Wie war das im Fall Bosnien? Auch dort war die serbisch-bosnische Führung angeklagt, und gleichzeitig wurde noch mit ihr verhandelt.

Nein, in Dayton hat man anstelle des bosnisch-serbischen Präsidenten Karadzic den damals noch serbischen Präsidenten Milosevic geholt und mit ihm verhandelt. Entsprechend kann man aber jetzt nicht vorgehen. Im Bosnien-Konflikt war zumindest umstritten, ob es sich um einen internationalen oder einen internen Krieg handelt. Das hat auch immer wieder zu Diskussionen im Gericht geführt. Im jetzigen Fall ist es, was die jugoslawische Seite angeht, ein klarer Bürgerkrieg. Das ist nicht die gleiche Situation wie in Bosnien.
Beim Bosnienkrieg hat es ja immer geheissen, dass der bosnische Staat letztlich von Jugoslawien angegriffen wird und dass die bosnisch-serbischen Truppen unter dem Oberbefehl von Jugoslawien Krieg führen. Dieses Problem stellte sich seit Beginn des jugoslawischen Zerfalls: Kroatien, Slowenien und Bosnien waren Teil des jugoslawischen Staates und haben sich von ihm losgelöst. Kann man einfach durch einen entsprechenden Staatsakt der Loslösung und deren internationale Anerkennung aus einem Bürgerkrieg einen internationalen Krieg machen? Wenn beispielsweise die internationale Staatenwelt morgen die UCK als rechtmässige Regierung eines unabhängigen Staates Kosovo anerkennt, wird dann aus dem jetzigen Geschehen ein völkerrechtlich internationaler Krieg mit allen damit verbundenen Konsequenzen? Das ist für mich eine auch rechtlich höchst problematische Geschichte. Da werden Politik und Recht miteinander vermischt.

Das Ad-hoc-Gericht zu Jugoslawien und Ruanda ist so etwas wie ein Testlauf für die Einsetzung eines permanenten internationalen Strafgerichts. Glauben Sie, dass nach den dort gemachten Erfahrungen die Wahrscheinlichkeit wächst, dass ein solcher Gerichtshof eingerichtet wird?
Ich bin ein klarer Befürworter eines solchen Gerichtshofes, aus der festen Überzeugung, dass es notwendig ist, eine echte Souveränitätsbeschränkung der Staaten vorzunehmen. Aber ich bin gegen Selbstjustiz, wie sie derzeit gegenüber Jugoslawien ausgeübt wird. Neunzehn Staaten sprechen nicht für die ganze Welt. Ein internationaler Strafgerichtshof, der auch die internationale Legitimität hat, wäre für mich der richtige Weg. Schlimm ist natürlich, dass die USA den Vertrag zur Einrichtung eines solchen Gerichts noch nicht unterzeichnen wollen. Damit klammert sich genau die Macht aus, die Weltpolizist spielt, und damit ist auch die Chance eines solchen Gerichts grundsätzlich in Frage gestellt.