Kabuls Geldwechsler fürchten die Warlords: Wohin mit den Waffen?

Stille herrscht in dem mit Teppich ausgelegten Raum, nur die islamischen Gebetsketten klicken leise, wenn sie den auf durchgesessenen Sofas und wackligen Stühlen sitzenden Männern durch die Finger gleiten. Der Mann hinter dem Tresen, auf dem sich Bündel abgegriffener Banknoten stapeln, nimmt den Hörer des klingelnden Telefons ab und legt ihn gleich wieder auf. Er will die Runde nicht stören, in der alle darauf warten, dass die beiden Mitglieder der Loya-Jirga-Kommission das Wort ergreifen.

Professor Abdul Asis und Sebghatullah Sandschar warten, bis sich ein paar Zuspätkommende einen freien Platz gesucht haben. Sie sind, wie die neunzehn Kolleginnen und Kollegen ihres Gremiums, in den letzten Wochen mit Uno-Geländewagen und mit Hubschraubern der britischen Spezialtruppen in die entferntesten Winkel des Landes gereist, um die Wahlen zur Loya Jirga – der traditionellen Ratsversammlung der Afghanen – vorzubereiten.

Heute hat die Fahrt kaum zehn Minuten gedauert, ans Südufer des Kabul-Flusses, mitten ins zerstörte Kabul. Dort besuchen sie die Geldwechsler oder Sarrafan des Schahsade-Serays, so etwas wie die Börse der afghanischen Hauptstadt. Auch sie werden, wie es Tradition ist, Vertreter in den am 10. Juni beginnenden Grossen Rat entsenden.

In den Ruinen der Kabuler Altstadt flimmern keine Computerbildschirme. Hier werden Geldbündel aus Tüchern gewickelt, Männer mit geschulterten Säcken schieben sich durchs Gedränge, Rufe schallen hin und her. «He, Salim, für wie viel hast du gekauft?» Immerhin haben Satellitentelefone Einzug gehalten, mit denen Kurse in Peschawar oder Hamburg erfragt werden. Die Sarrafan haben sich notdürftig in einem mehrstöckigen Betonbau eingerichtet, der Mitte der neunziger Jahre von den Raketen zerstrittener Mudschaheddin schwer getroffen wurde und in dem gerade wieder mal der Strom ausgefallen ist.

Die kleinsten Läden der ambulanten Geldwechsler, unten auf der Strasse, bestehen aus einem alten Blechhocker mit einem angebundenen schwarzen Regenschirm. Die Transaktionen – Dollar oder pakistanische Rupien gegen Afghani, auch der Euro hat längst Einzug gehalten – werden im Hocken abgewickelt.

Zunächst ergreift Amin Khosti das Wort, der Vorsitzende der Vereinigung der Geldwechsler vom Schahsade-Seray. Der bärtige Paschtune mit der runden Filzmütze begrüsst mit der charakteristischen gewählten Höflichkeit die Besucher, spricht davon, dass die Loya Jirga eine «neue Etappe» in Afghanistans Geschichte einleiten werde, und erklärt, dass er und seine Kollegen das Bonner Afghanistan-Abkommen aus vollem Herzen unterstützten.

Kommissionsmitglied Abdul Asis, der 64-jährige von den Taliban entlassene Dekan der Fakultät für islamisches Recht an der hauptstädtischen Universität, kennt die Nöte der Kabuler Börsianer genau. «Drei-, viermal hat man euern Seray im Laufe des Krieges geplündert», erinnert er unter Kopfnicken der Zuhörer. Zum letzten Mal, als die Taliban am 13. November fluchtartig die Stadt verliessen, bevor die Nordallianz einzog. Über achtzig Geldwechsler wurden damals ausgeraubt, und mancher Geschäftsbesitzer der Umgebung verlor seine Einnahmen – die über 150 Sarraf-Geschäfte dienen den Händlern als Nachttresor. Damit sich dies nicht wiederhole, sagt Asis, müssten die Wahlen zur Loya Jirga als «goldene Chance» genutzt werden, um einer stabilen Regierung und dem Frieden wieder ein Stück näher zu kommen. Wenn Recht und Ordnung herrschten, sagt er, gebe es wieder eine funktionierende Polizei, und die Geldwechsler müssten nachts nicht mehr in ihren Geschäften schlafen.

Die Geldwechsler wandten sich nach dem Raub an die Übergangsregierung von Hamid Karsai und an die Vereinten Nationen, um eine Entschädigung für den Verlust bei US-Präsident George W. Bush einzuklagen. Die Amerikaner, so argumentierten sie, hätten mit ihren Bomben zwar das Regime der Taliban zusammenbrechen lassen – und dafür sei man ja dankbar –, hätten es aber versäumt, eine andere Regierung in Bereitschaft zu halten. Nur im Machtvakuum konnten die Räuber ungestraft zuschlagen, und daher liege die Verantwortung für den Millionenraub in Washington.
Die Geldwechsler haben sich inzwischen damit abgefunden, dass wohl niemand den Verlust ersetzen wird, wie Qazi Imam Dschan, ein ehemaliger Militärrichter, der in das Geldgeschäft gewechselt hat, trocken konstatiert. Er verlangt, dass nur ihrem Volk wohl gesonnene Persönlichkeiten in die Loya Jirga gewählt werden, damit eine Regierung entstehe, die künftig «die Rechte der Händler schützt».

Doch Qazi Imam Jan legt den Finger in eine weitere Wunde: «Ohne Entwaffnung der Pistolenträger», sagt er, auf die einheimischen Warlords anspielend, «wird die Loya Jirga nicht erfolgreich sein können.» Zu viel Angst herrsche vor den Bewaffneten, die in vielen Teilen des Landes immer noch regierten. Dass die Uno Wahlbeobachter entsende, reiche nicht aus. «Wenn die wieder abgereist sind, können die Warlords mich noch immer umbringen, wenn ich wage, für die Loya Jirga zu kandidieren.»

Der ehemalige Richter drückt aus, was viele AfghanInnen denken und der Loya-Jirga-Kommission auch mitteilen, in Gesprächen oder handgeschriebenen Briefen, die sie den Abgesandten bei ihren Besuchen zustecken. Die Weigerung vor allem in Washington und Paris, das Mandat für die internationale Friedenstruppe Isaf über die Hauptstadt Kabul hinaus auszuweiten, gefährdet die unbeeinflusste Durchführung der Loya Jirga und damit den afghanischen Friedensprozess. Dabei reichten nach Meinung von Uno-Mitarbeitern in Kabul einige hundert Soldaten, in den wichtigsten acht Ballungszentren ausserhalb Kabuls stationiert, aus, um den AfghanInnen die Gewissheit zu geben, dass sie mit internationaler Unterstützung rechnen können. Der frühere afghanische Präsident Burhanuddin Rabbani, der im Dezember Karsai Platz machen musste, zieht bereits durch die Dorfmoscheen und verkündet: «Gebt den Ungläubigen nicht eure Waffen – der heilige Krieg ist noch nicht zu Ende.»