Frag die WOZ : Warum sind linke Genossenschaften bünzlig?

«Warum sind linke Genossenschaften so bünzlig?»
D. M. per Mail
Das ist nicht nur eine sehr gute Frage, sondern auch eine rhetorisch-suggestive.
Um sie stellen zu können, müssen Sie in irgendeiner Form mit linken Genossenschaften interagiert haben. Wahrscheinlich sind Sie Teil einer solchen. Diese Erfahrung hinterlässt bei Ihnen offenbar den Eindruck, dass dort Kleinkariertheit oder Spiessigkeit dominieren – was man in der Schweiz gemeinhin als «bünzlig» bezeichnet.
Auf meine Nachfrage, welche Arten von Genossenschaften Sie denn meinen, haben Sie geantwortet, es gehe um Bau- und Wohngenossenschaften. Indem Sie nach linken Genossenschaften fragen, machen Sie ja implizit klar, dass es auch nichtlinke Genossenschaften gibt. Was natürlich absolut stimmt. So gibt es auch Genossenschaften, denen es beim bezahlbaren Wohnraum zugleich darum geht, für wen dieser Wohnraum eben nicht bezahlbar sein soll. Grundsätzlich ist die Kernidee einer Genossenschaft eine universalistische. Auch Partikularinteressen kommen manchmal in einem genossenschaftlichen Kleid daher. Solche Genossenschaften sind jedoch alles andere als links. Vor allem dann nicht, wenn ökonomische Gleichheit als eine der fundamentalen Voraussetzungen des Linksseins begriffen wird.
Nun geht es bei Verteilungsfragen in hochkapitalisierten, postindustriellen Staaten wie der Schweiz längst nicht mehr nur allein um ökonomisches Kapital. Der Zugang zu Genossenschaften kann auch durch soziales, kulturelles und symbolisches Kapital erschwert sein – also durch Netzwerke, Bildung, Sprache, Habitus. Damit wir eine Genossenschaft wirklich als links bezeichnen können, müsste sie alle diese Kapitalhürden möglichst tief halten. Doch fokussieren wir dennoch auf die ökonomischen Hürden: Verlangt eine Genossenschaft eine finanzielle Beteiligung von mehreren 10 000 Franken, ist sie wohl im besten Fall linksliberal. Versucht sie, durch Quoten und Solidaritätsfonds sozial Schwächere einzubeziehen, bewegt sie sich im sozialdemokratischen Feld. Versteht sie sich als Kollektiv, das Eigentum und Arbeit gemeinsam verwaltet und Hierarchien möglichst abbaut, dann nähert sie sich dem sozialistischen Spektrum an. Wenn Menschen gemeinsam Häuser besetzen, niemandem etwas gehört und allen alles, ist das im rechtlichen Sinn keine Genossenschaft, was nicht bedeutet, dass es in einem anarchosyndikalistischen tatsächlich auch keine ist.
In diesen sehr verschiedenen Richtungen des Linksseins gibt es folglich auch unterschiedliche Organisations- und Verwaltungsformen. Insbesondere jene Organisationen, die politisch und ökonomisch demokratisch agieren, benötigen – neben einer gesunden Portion Flexibilität – erprobte und etablierte Werkzeuge, um sich, auf Gleichheit beruhend, selbst verwalten zu können: verbindliche Strukturen und Abläufe, Verlässlichkeit, die eine oder andere Arbeitsgruppe, Konsensrituale, Moderationsrunden, Protokollorgien, für alle gültige Regeln und Formalitäten – allesamt auch Coucousin:en der Spiessigkeit, der grossen Schwester des Bünzlitums. So gesehen können linke Genossenschaften also gut als bünzlig bezeichnet werden.
Warum also nicht ein wenig bünzlig sein, wenn Exaktheit, Transparenz, Zuverlässigkeit und Rechtssicherheit Waffen gegen die Willkür jener darstellen, die Macht und Ressourcen allein für sich beanspruchen? Vor allem jetzt, wo sowieso viele Begriffe neu besetzt werden, Rechte das «Alternative», die «Revolution» und den «kleinen Mann» gekapert haben, sollten Linke sich trauen zurückzuschlagen. In diesem Sinne also, ACAB: All cooperatives are bünzlig!
Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!