Moritz Leuenbergers Geschenk an die Autolobby: Mehr Verkehr pro Franken

Avanti hinkt dem prophezeiten Verkehrswachstum hinterher», schrieb die WoZ vor eineinhalb Jahren (siehe WoZ Nr. 47/00), als die Automobilverbände ihre Strassenausbau-Initiative einreichten. Das hat inzwischen auch Verkehrsministier Moritz Leuenberger erkannt und überholt jetzt die Autolobby: Sein Gegenvorschlag, den die Landesregierung letzte Woche absegnete, erlaubt einen stärkeren Ausbau der Verkehrskapazität als die Initiative, obwohl er auf die symbolträchtige zweite Gotthardröhre verzichtet.
Das Scheingefecht am Gotthard hat selbst strassenbaukritischen Leuten die Sicht vernebelt. Die SP Schweiz etwa, die vor zwei Jahren die Volksinitiative zur Halbierung des motorisierten Strassenverkehrs unterstützte und die «Avanti»-Initiative vehement ablehnt, begrüsst jetzt den Gegenvorschlag. Offensichtlich haben die SozialdemokratInnen in der Hektik des Tages die Botschaft nicht richtig gelesen.

Auf Wachstum gebaut

Botschaft und Gegenvorschlag des Bundesrates basieren auf Prognosen, die bis 2020 auf den Nationalstrassen mit einem Verkehrswachstum von 24 Prozent (Szenario tief) bis 40 Prozent (Szenario hoch) rechnen. Dieses Wachstum führe dazu, dass im Jahr 2020 Nationalstrassenabschnitte mit einer Gesamtlänge von mindestens 200 Kilometern (tiefes Szenario) «deutlich überlastet» seien und deshalb in erster Priorität ausgebaut werden müssten. Die nahe liegende Umkehrfrage, ob der Verkehr ebenfalls um 24 bis 40 Prozent wachsen wird, falls der Staat die Kapazität nicht ausbaut, wird in der 44-seitigen Botschaft nicht gestellt.
Die «Avanti»-Initiative verlangt konkret, die «Bauarbeiten zur Beseitigung der Kapazitätsengpässe» müssten zehn Jahre nach Annahme des Volksbegehrens (also frühestens 2014) in Angriff genommen werden, und zwar auf folgenden Autobahnen: Al zwischen Genf und Lausanne, Al zwischen Bern und Zürich und A2 zwischen Erstfeld und Airolo. Dieser Ausbau würde laut Schätzungen des Bundesrates 6,4 Milliarden Franken kosten.
«Der Bundesrat will die Kapazität ebenfalls erhöhen», schreibt er in der Botschaft, «aber er will nicht die gleichen Strecken ausbauen wie die Initianten.» Denn von den 200 Kilometern Nationalstrassen, die laut seinem Szenario im Jahr 2020 überlastet sein werden, befinden sich 160 Kilometer in Städten und Agglomerationen, der grössere Teil davon ausserhalb der von der Initiative genannten Ausbaustrecken. Deshalb beurteilt der Bundesrat die Initiative als «zu undifferenziert» und gemessen an den Kosten von 6,4 Milliarden Franken zu wenig wirkungsvoll.

Mehr Stadtautobahnen

Mit dem Gegenvorschlag will der Bundesrat vor allem den Agglomerationsverkehr auf Schiene und Strasse fördern und dazu in erster Linie die «nachgewiesenen Engpässe» beseitigen. Diese gezielte Verkehrsbewältigungspolitik ist effizienter als das Initiativbegehren, aber auch umfangreicher und teurer: «Der künftige Mittelbedarf für die erforderlichen Ausbauten beim Agglomerationsverkehr dürfte bis 2020 mehr als 10 Milliarden Franken betragen», schätzt die Regierung. Das vom Bundesrat anvisierte Ausbauprogramm wird im Gegenvorschlag zwar nicht verbindlich festgelegt. In einer in der Botschaft enthaltenen Tabelle, welche die künftig überlasteten Autobahnen auflistet, liefert der Bundesrat jedoch «Anhaltspunkte über die Prioritäten sowie über die konkreten Strecken und Räume». Demnach sollen in,«l. Priorität» sechzehn Autobahnstücke aus- oder neu gebaut werden, darunter die Strecken Genf-Nyon, die Umfahrung Lausanne, die Stadtautobahnen Bern, Luzern und St. Gallen, die Zürcher Nordumfahrung und das Expressstrassen-Ypsilon, die Umfahrung Winterthur sowie weitere Teilstücke der Al Zürich-Bern.

Mehr Ineffizienz

Dieser Ausbau der Stadt- und Agglomerationsautobahnen fördert den motorisierten Strassenverkehr insgesamt weit stärker als die «Avanti»-Initiative. Zudem verursacht der Gegenvorschlag vor allem in jenen Regionen mehr Lärm, mehr Abgase und Naturverbrauch, in denen am meisten Menschen darunter leiden. Im Vergleich dazu erweist sich der bundesrätliche Verzicht auf die zweite Gotthardröhre bloss als marginales Entgegenkommen.
Aus der Froschperspektive ist der Gegenvorschlag effizienter, weil er pro investierten Franken mehr Transport erzeugt als die Initiative. Doch generell fördert er die Ineffizienz, solange unser Verkehrssystem für den Transport von 70 Kilo Mensch in der Regel 1500 Kilo Blech in Bewegung setzt und jährlich ungedeckte Unfall-, Energie- und Umweltkosten in Milliardenhöhe erzeugt. Das weiss auch Verkehrsminister Leuenberger. Im Vorwort zum Bericht über das nationale Forschungsprogramm «Verkehr und Umwelt» schrieb er im Januar 2001: «Vielerorts stossen wir in unserem Ökosystem und im knappen Raum an Grenzen, welche einen weiteren Ausbau der Infrastruktur und zusätzlichen Verkehr nicht mehr erlauben.»