Nicole Müller: Eindimensional und einfallslos
«Play» überschreibt Nicole Müller das erste Kapitel von «Kaufen! Ein Warenhausroman» und reisst die LeserInnen hinein in eine Liebesgeschichte, die Spannung verspricht. «Play», abspielen, vorwärts kommen, leben, die Idee ist gut, und entsprechend gut gelaunt gelingt der Einstieg, das Abtauchen. Hans ist es, von dem die Werberin Simone unvermittelt erkennen muss, dass sie ihn wohl liebt. Und es jahrelang nicht gemerkt hat. Jahrelang ist die Liebe in der gemeinsamen Arbeit für «die Firma» vergessen gegangen, unentdeckt geblieben. Und «Play» heisst auch Müllers nächstes Kapitel, wieder funktioniert der Drive, der diesem Wort eigen ist, einfach, klar – wie die Sätze auch. Vertrauen stellt sich ein, das Lesen wird eine Freude sein, ist es schon.
Drum ist die Landung dann abrupt: «Denn Leben ist wirklich das, was geschieht, während man mit etwas anderem beschäftigt ist», schreibt Müller sorglos auf Seite dreizehn. Die Freude ist fürs Erste dahin, ein flaues Gefühl ob solcher platten Lebensweisheiten bestimmt jetzt den Lesegenuss.
Noch einmal «play» – schon wirkt es nicht mehr so stark –, dann plötzlich «rewind», das Spiel ist aufgedeckt: Müller strukturiert ihr Buch mithilfe eines Kassettenrecorders und holt die LeserInnen damit in die Märchenstunden der siebziger Jahre zurück. Unter «rewind» erzählt die Protagonistin Simone von vorher, früher, als sie in «der Firma» anfing. Im Untergeschoss als Putzfrau: «Als Erstes erfuhr ich, dass es auch unter Putzfrauen eine Rangordnung gab.» Wieder dieses Gefühl, in einer nichts sagenden Geschichte gelandet zu sein, beim Weiterlesen nach Bestätigung dafür suchend. Und die findet sich leicht. «Sie trat versehentlich auf einen Schrubber, dessen Stiel ihr mitten ins Gesicht federte», versucht sich Müller einige Seiten später in der Beschreibung einer Putzfrau, die «die ganze Truppe zum Lachen brachte». Und irgendwie hilft es auch nichts, dass Müller die Heldin gegen Ende des Romans zur reflexiven Nabelschau zwingt: «Der Werber, der er ist, ist er geworden mit meiner Seele. Meiner Seele und den Seelen meiner Vorgängerinnen und selbstverständlich bin ich austauschbar.»
Die Freude ist definitiv dahin, «Kaufen! Ein Warenhausroman» eindimensional und einfallslos: Von der Ferienaushilfe zur erfolgreichen Werberin – so verläuft das Leben von Simone Wenger. Darüber hinaus hat die Autorin nicht viel zu erzählen – sie schafft es nicht, ihrem neuen Buch Tiefe zu geben. Das ist doch einigermassen erstaunlich. Denn als Nicole Müller 1992 mit «Denn das ist das Schreckliche an der Liebe» debütierte, wurde sie schnell und zu Recht als neue Nachwuchshoffnung der Schweizer Literatur gehandelt. Und obwohl ihr zweites Buch, «Mehr am 15. September», nicht mehr ganz so überzeugte wie das erste, wartete man gespannt auf das dritte. Es hat sich nicht gelohnt.
Kaufen! Ein Warenhausroman. Nagel & Kimche. Zürich 2004. 144 Seiten. Fr. 27.20