Noch ein paar letzte Fragen

Am Ende hat sie also doch funktioniert, die Bomberei, mit der die Nato Milosevic in die Knie zwingen wollte: So sehen das wenigstens die Tony Blairs, und davon gibt es heute, auch bei uns, immer noch erstaunlich viele. Sieger ist folglich, nach einem langen und ermüdenden Kampf die Nato. Das Gute hat gesiegt, die freie Welt auch, das Grundrecht des Menschen und – irgendjemand wird sich gewiss nicht scheuen, auch das noch zu sagen – das Völkerrecht. Mit anderen Worten, der Friede ist mit einiger Verspätung und unter Einsatz vieler Dollar-Milliarden dann doch noch ausgebrochen, es lebe der Krieg. Wer etwas anderes sagt, passt besser auf, bald dürfte auch er oder sie vom Bombenhagel getroffen werden, denn die Amerikaner lassen nicht mit sich spassen. Milosevic hat also nachgegeben beziehungsweise ist noch daran nachzugeben. Bis er so weit ist, bombt die Nato noch ein wenig weiter, doch das ist nur eine Frage der Zeit. Das militärisch-technische Abkommen (sprich: der Kapitulationsplan) wird gewiss unterzeichnet werden, dann knallen die Korken in Brüssel und überall sonst, wo die ApologetInnen des ferngesteuerten Bombenkrieges sitzen. Und irgendwann wird man die Buchhaltung über 75 Tage des Grauens eröffnen.
Diese Bilanz wird weitgehend auf die Frage reduziert werden, ob das hehre Ziel erreicht sei und das Bündnis der westlichen Welt somit gewonnen habe. Die meisten haben sich ohnehin schon entschieden, es war schon immer bequemer, dort zu sein, wo die Korken knallen, als dort, wo die Bomben fallen, seien wir ehrlich. Ärgerlich ist eigentlich nur, dass im letzten Moment wieder die üblichen BedenkenträgerInnen aufgetaucht sind, die die neue Protektoratslösung unbedingt unter Uno-Herrschaft stellen wollen. Soll also das siegreiche Bündnis im letzten Moment doch noch ausgebootet werden? Nach all den Anstrengungen? Wir möchten doch sehr bitten!
Ein paar Fragen wären da allenfalls noch anzumelden, wenn es gestattet ist, wir wollen die Fete ja nicht verderben. Rambouillet war gescheitert, weil alle Parteien in Rambouillet dies so wollten. Der Westen, weil er das zynische Taktieren des übrigens miserablen Strategen Milosevic satt hatte und vor allem weil er endlich beweisen wollte, wozu das mächtigste Militärbündnis der Welt imstande ist; die Kosovo-AlbanerInnen, weil sie sich eine Chance ausmalten, vom serbischen Joch wegzukommen; und Milosevic, weil er eben ein miserabler Stratege ist. Aber haben die Parteien jetzt etwas erreicht, was sie in Rambouillet nicht auch schon hätten haben können? Ohne Bomberei, ohne das gewaltige Elend der ethnischen Kriegführung?
ElektrizitaetswerkDarf allein die Feststellung, dass einem Politiker nicht zu trauen ist, wirklich als Begründung dafür dienen, dessen Land zweieinhalb Monate lang systematisch in das vorindustrielle Zeitalter zurückzubomben? Und wenn es nun so sein sollte, dass dieser Krieg im Namen der Menschenrechte, das heisst konkret im Namen der Rechte der Kosovo-AlbanerInnen, geführt wurde –, wo sollen dann bei der Schlussbilanz all jene tausende von geistig und/oder körperlich grausam verstümmelten Menschen verbucht werden, die erst nach Beginn der «Bombenkampagne» der ungebremsten Rache wild gewordener Schergen zum Opfer gefallen sind? Als «Kollateralschäden» etwa, zusammen mit jenen SerbInnen, die im falschen Moment am falschen Ort waren?
Und dann wäre da noch eine Frage, fast schon ein Detail: Was wird jetzt aus dem neu zu gründenden Kosovo-Protektorat? Ein sicherer Hafen für die Vertriebenen? Und wie soll da die am Rande auch noch erwähnte Entwaffnung der UCK verwirklicht werden? Mit der artigen Aufforderung etwa, die Waffen doch, bitte, bitte, abzugeben?
Das britische Rüstungsjournal «Jane’s Defence Weekly» hat die UCK in einer Mischung aus Bewunderung und Unbehagen bereits als politische Kraft geschildert, ohne die keine Lösung mehr denkbar sei. Das sieht die UCK auch so, sie schildert sich als neue Polizeikraft, wobei sie auch schon angemeldet hat, eine Teilung des Kosovos auf keinen Fall annehmen zu wollen: Aus der serbischen Besetzung eines mehrheitlich von AlbanerInnen bewohnten Landstriches wird jetzt nach der Nato-Offensive die albanische Besetzung des für die SerbInnen so mythischen Amselfelds. So ist es eben, wenn einer einen Krieg verliert, werden die ChampagnetrinkerInnen sagen und noch einige Korken knallen lassen. Doch aufgepasst: Die Nato-Generäle waren bei
den technisch-militärischen Gesprächen in Kumanovo zunächst erstaunt und dann ziemlich verärgert, als sich ihre jugoslawischen Kollegen keineswegs kooperativ zeigten. Wäre aber nicht eher das Gegenteil erstaunlich gewesen? Die jugoslawische Armee hat ja in diesem «Präzisionskrieg» nie so gekämpft, wie sie es über Jahrzehnte gelernt hat. Ist denn in Brüssel noch niemandem aufgefallen, welche gefährliche Mischung da angerührt wird?
Eine während 75 Tagen und Nächten weit in die Vergangenheit zurückgebombte Bevölkerung mit einer Armee, die zwar kapitulieren musste, genau genommen aber nicht geschlagen wurde, weil die Nato partout keine Bodentruppen hat einsetzen wollen, und das alles ausgerechnet vor dem Hintergrund jenes serbischen Amselfeldmythos, wo keineswegs die Niederlage gegen das Osmanische Reich gefeiert wird, wie es manche BerichterstatterInnen gerne darstellen, sondern die Tatsache, dass eine Armee bis zum letzten Mann gekämpft hat, ohne aufzugeben. Pathetisches Zeug eigentlich, doch solche Inhalte können, wenn sie vom richtigen Demagogen eingesetzt werden, rasch zu gefährlichen Leitbildern des Extremismus werden.
Noch eine letzte Frage, dann dürfen auch Sie Champagner trinken gehen: Die Nato hat gewonnen, die europäischen Staaten sind mehrheitlich Mitglieder des Bomben-Bündnisses. Hat Europa aber gewonnen? Ganz abgesehen von den Kriegskosten, die sollen angeblich die Haushalte und damit den Euro-Kurs nicht im Geringsten belastet haben. Wie werden die PolitikerInnen in Europa reagieren, wenn neben den albanischen Flüchtlingen plötzlich noch ein paar hunderttausend serbische um Einlass bitten? Mit einer weiteren Senkung der «Attraktivität» etwa? Lästige Fragerei möglicherweise, aber seien Sie vorgewarnt: Zu viel Champagner kann sehr schnell zu einem schweren Kater führen.