Ein Traum der Welt: Sehnsucht nach Grösse

Nr. 11 –

Annette Hug folgt einem philippinischen Wort ins Dunkle

Aus deprimierenden Nachrichten sticht ein schönes Wort heraus: maharlika. Die siebzigköpfige Delegation der Philippinen, die im Januar das Weltwirtschaftsforum in Davos besuchte, warb für einen Staatsfonds dieses Namens. Präsident Ferdinand Marcos junior hat ihn eingerichtet, damit öffentliche Institutionen darin Überschüsse anlegen, angeblich mit besonders hohen Renditen. Ende vergangenen Jahres haben Proteste den Plan gebremst, auch Vermögen der staatlichen Rentenversicherung in das neue Vehikel einzubringen.

Maharlika war ein Lieblingswort des Vaters des jetzigen Präsidenten. Ein Spielfilm von 1970 trägt diesen Titel. Er dreht sich um eine Kampfeinheit gegen die japanischen Besatzer, die Marcos senior während des Zweiten Weltkriegs angeführt haben soll. Dafür gibt es keine historischen Quellen. Nachdem er ab 1972 per Kriegsrecht durchregierte, tauchte jedoch der Vorschlag auf, das ganze Land umzubenennen. Der spanische König Philipp II. sei sprachlich abzuschütteln und durch Maharlika zu ersetzen.

Bis heute gibt es kein wissenschaftlich erarbeitetes Herkunftswörterbuch für die Sprache Tagalog. So laufen die Spekulationen, was maharlika ursprünglich heisst, in verschiedene Richtungen. In einem spanischen Wörterbuch von 1754 steht «frei» und «befreiter Sklave». Trinidad Pardo de Tavera, philippinischer Privatgelehrter, publizierte 1887 in Paris ein Buch mit tagalischen Wörtern, die ihren Ursprung in der javanisch-indischen Sprache Kawi hatten, einem wundersamen Idiom, das im 14. Jahrhundert in ganz Südostasien seine Spuren hinterliess. Maharddika bedeute auf Sanskrit «reich», «talentiert», «gesegnet», schrieb Pardo.

In einem der wichtigsten Tagalog-Englisch-Wörterbücher, verfasst von Pater Leo English, wird maharlika aber als «edel» und «adlig» übersetzt. Das passt zur populären Vorstellung eines sagenhaften vorkolonialen Königreichs, dem eine Adelsschicht vorstand. Während dieser Traum in der Fantasyliteratur bis heute floriert, erhielt die Kampagne zur Neubenennung des Landes 1978 einen Dämpfer. Maharlika heisse «grosser Phallus», soll ein Forscher damals herausgefunden haben, schrieb die «Bangkok Post» 2019. Da war gerade Präsident Rodrigo Duterte philippinischer Präsident und wollte den alten Vorschlag zur Umbenennung des Landes neu auflegen.

2019 hatten die philippinische Polizei und Vigilantegruppen bereits um die 20 000 Leute erschossen. Dutertes sogenannten «Krieg gegen Drogen» untersucht heute der Internationale Strafgerichtshof, wobei unklar ist, ob er wirklich vorbei ist. Dutertes Tochter Sara Duterte ist die Vizepräsidentin von Ferdinand Marcos junior, beide haben sich zur Weiterführung der Politik des Vorgängers bekannt. Mit der Aussetzung rechtsstaatlicher Verfahren ging eine Brutalisierung der Polizei einher, die sich jetzt gegen alle richtet. Eine Bande von Exbeamten hat gerade einen Gouverneur aus dem Marcos-Lager erschossen. Morde gehören zu den deprimierenden Nachrichten. Niederschmetternd sind auch die Berichte von Bekannten, die nur noch weg wollen. Zwischen präsidentiellen Fantasiewelten, einer galoppierenden Inflation und Straflosigkeit für Mörder:innen scheint jede Hoffnung zu versickern. Es sei denn, man gehört zu jener Mehrheit, die den Traum von Maharlika teilt.

Annette Hug ist Autorin in Zürich und versucht, sich die Freude an der Sprache Tagalog (auch Filipino genannt) nicht vermiesen zu lassen.