Film: Überwachen und Plaudern

Nr. 21 –

Filmstill aus «L’ilôt»: zwei Wachmänner mit uniformen T-Shirts und gelben Leuchtarmbändern
«L’ilôt». Regie: Tizian Büchi. Schweiz 2022. Jetzt im Kino.

Ein Quartier in Lausanne, ohne Aussicht auf den See, dafür an einem kleinen Fluss gelegen, der – wie ein Experte versichert – zumindest geologisch von Interesse ist. Früher wohnten hier die Bahnarbeiter mit ihren Familien, heute sind es vor allem Menschen mit Migrationshintergrund. Viel los ist hier nicht, wie mehrmals betont wird, auch wenn die Kinder enthusiastisch einen kürzlichen Polizeieinsatz schildern.

Jetzt sind da auf einmal zwei Wachmänner mit uniformen T-Shirts und gelben Leuchtarmbändern. Ihr Auftrag ist es, die Menschen vom Fluss fernzuhalten, aber besonders streng – vielleicht wegen der Hitze? – sind sie dabei nicht. Eine junge Frau, die auf einer Bank einen halben Meter hinter dem Absperrband Gitarre übt, lässt man noch eine halbe Stunde gewähren. Warum man nicht mehr zum Fluss darf, weiss niemand, aber Regeln sind Regeln.

«L’îlot» von Tizian Büchi, letztes Jahr bei den Visions du Réel in Nyon mit dem Hauptpreis ausgezeichnet, stellt keine Ansprüche an sein möglicherweise sanft irritiertes Publikum, behauptet keine Bedeutung und verhehlt auch nicht, dass es sich bei der Bewachungsaktion um ein Konstrukt handelt. Die Wachmänner sind nicht echt: Der eine hatte einst als Billettkontrolleur den Regisseur beim Schwarzfahren erwischt, der andere ist Büchis Mitbewohner. Die Unterhaltungen zwischen dem älteren Angolaner und dem jungen, verträumten Iraker machen etwa die Hälfte des Films aus, und sie decken so ziemlich alle Themen von Familie, Zusammenleben, Migration und Flirttechniken ab.

Jedes Verbot ist immer auch eine Art Einladung, dagegen zu verstossen. Und was überwacht wird, bekommt Bedeutung – seien es ein langweiliges Quartier, das Treiben oder die Gespräche der Nachbar:innen, die man vom Balkon aus beobachtet, oder sei es diese überraschende kleine Wildnis mitten in der Stadt. Dass jede Grenze, die um ein solches Territorium gezogen wird, fiktiv ist, lässt sich kaum bestreiten. «L’îlot» zeigt, dass im Kino auch die Grenze zwischen Realität und Fiktion durchlässig ist.