Agrarpolitik: Ein Ritter für alle

Nr. 51 –

Weiterzumachen wie bisher, geht nur noch mit Realitätsverweigerung. Für die Landwirtschaft gilt das genauso wie für den Rest der Wirtschaft. Das verbindet – und macht den Bauernpräsidenten Markus Ritter so mächtig.

Güllewagen mit Schleppschlauchverteiler
Der Schleppschlauchverteiler bringt die Gülle direkt auf den Boden aus. So geht viel weniger Ammoniak in die Luft. Ab 2024 ist er obligatorisch. Foto: Franco Greco, Keystone

Was ist Landwirtschaft? Folklore? Ideologie? Eine Branche, die sich die Schweiz leistet, obwohl sie es nicht mehr nötig hätte? In den Debatten um die Macht des Bauernverbandspräsidenten und Mitte-Nationalrats Markus Ritter geht manchmal fast vergessen: Landwirtschaft produziert Lebensmittel.

Ritter selbst hat das nicht vergessen. Sein obsessiv wirkender Fokus auf agrarpolitische Detailgeschäfte, die ausserhalb der Branche nur wenige verstehen, ist ein Kern seiner Politik. Damit signalisiert er den Landwirt:innen: Ich setze mich für euch ein. Für den einzelnen Betrieb macht es einen grossen Unterschied, wenn er für Zehntausende von Franken einen Schleppschlauchverteiler zum Güllen kaufen muss, damit weniger Ammoniak in die Luft geht. Oder wie gross die Flächen sind, auf denen er die Biodiversität fördern muss. Die Landwirtschaft hat verinnerlicht, was der Staat fast das ganze 20. Jahrhundert lang predigte und durchsetzte: dass es darum gehe, so viel wie möglich aus dem Boden und den Tieren herauszuholen. Aber viel produzieren allein macht die Landwirt:innen nicht mächtig, solange sie keinen Einfluss auf die Preise haben. Darüber redet der Schweizerische Bauernverband (SBV) nicht gern.

Es zählt die Produktion

Seit den neunziger Jahren, seit der Einführung der Direktzahlungen, war der SBV in der Defensive. Klar, übervertreten war die Branche im Parlament immer. Aber dreissig Jahre lang wurden agrarpolitische Reformen gegen den Willen des SBV umgesetzt. Der Verband verlor gegen eine Allianz aus SP, FDP und Teilen der CVP. Diese Allianz betrieb eine Politik, die sich am besten als grünliberal beschreiben lässt: eine Kombination aus Liberalisierung und Ökologisierung – einer unvollständigen Ökologisierung, denn sie bezog Verarbeitung, Handel und Konsum nicht mit ein. Die Verschränkung von Öko- und Wirtschaftsanliegen ging so weit, dass 2012 Umweltverbände und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse gemeinsam einen Brief ans Parlament schrieben, um für die Streichung einer bestimmten Subvention zu werben (siehe WOZ Nr. 51/12).

Der Effekt dieser Politik war paradox: Die Landwirt:innen beteiligten sich tatsächlich an diversen Ökoprogrammen – obligatorischen und freiwilligen. Gleichzeitig stieg der ökonomische Druck und führte zum Beispiel dazu, dass sich die Milchproduktion nicht auf Hügel- und Berggebiete konzentrierte, wie es ökologisch sinnvoll wäre, sondern aufs Flachland. Denn dort ist sie billiger. Die ökologische Wende, die die Befürworter:innen bei jeder Reform erhofften, blieb aus. Es wäre auch erstaunlich: eine ökologisch vorbildliche Landwirtschaft als Teil einer ökologisch desaströsen Gesamtwirtschaft.

Ein neuer Widerspruch

Markus Ritter schaffte, was noch kein SBV-Präsident geschafft hatte: eine bereits ausgearbeitete Agrarreform, die AP 22+, zu versenken. Damit führte er den SBV aus der Defensive. Er brachte die FDP auf seine Seite, indem er die Bäuer:innen gegen die Konzernverantwortungsinitiative einschwor. Dann machten SBV und Wirtschaftsverbände das Bündnis als «Perspektive Schweiz» offiziell.

Was die Verbände verbindet, ist das Versprechen eines «Weiter wie bisher»: Auto fahren, täglich Fleisch essen und billig einkaufen für immer. Das Bündnis ist fragil, denn der Kapitalismus bedroht die Grundlagen der Landwirtschaft direkt, etwa durch die exzessive Bautätigkeit. Dieser Widerspruch bricht immer wieder auf, wenn sich Bäuer:innen mit Links-Grün gegen neue Autobahnen verbünden. Doch das sind nur wenige.

Genauso beim Klima: Obwohl keine Branche Hitze, Trockenheit und verheerende Unwetter so unmittelbar zu spüren bekommt wie die Landwirtschaft, sind jene Bäuer:innen, die einen neuen Umgang mit Wasser erproben – oder sich sogar offensiv für eine progressive Klimapolitik einsetzen –, noch eine kleine Minderheit. Auch hier: Warum sollte die Landwirtschaft progressiver sein als der Rest der Gesellschaft? Es ist gerade die Verdrängung, die «Perspektive Schweiz» zusammenschweisst. Die beruhigende Scheinstabilität des Status quo, der die Instabilität des Klimas laufend verstärkt.

Markus Ritter vertritt längst nicht nur die Landwirt:innen. Er vertritt die mehrheitsfähige Realitätsverweigerung.