Film: Zwischen den Zeilen

Nr. 10 –

Filmstill aus «Zehn Jahre»: Bäcker in einer Bäckerei
«Zehn Jahre». Regie: Matthias von Gunten. Schweiz 2024. Jetzt im Kino. Vorführungen in Anwesenheit von Regisseur und Protagonist:innen siehe www.vincafilm.ch.

Eine Langzeitbeobachtung wie Matthias von Guntens «Zehn Jahre» hat etwas von einem Zaubertrick: Lass uns auf Zeitreise gehen! Was man im langsamen Vergehen übersieht, kann ein Film in kompakter Form Revue passieren lassen. Am Anfang stehen vier Menschen, die gerade ins Berufsleben starten: Pascal (17) feiert den Abschluss seiner Bäckerlehre, Lucia (29) den ihres Medizinstudiums, Victor (28) bewirbt sich um erste Aufträge als Orchesterdirigent, und Hanna (19) beginnt ihr Leben als Lehrerin. Aber nur wer noch nie auf einem Klassentreffen war, wird überrascht sein davon, was zehn Jahre später aus ihnen geworden ist: Sie haben sich – mit einer markanten Ausnahme – eigentlich kaum verändert.

Von Gunten besucht seine Held:innen im Lauf dieser zehn Jahre immer wieder. Diskret blendet er ein, an welchen Arbeitsstätten sie inzwischen gelandet sind. Vor der Kamera rekapitulieren sie ihre aktuelle Situation. Jeder Einstellung, jeder Interviewsequenz ist anzumerken, dass der Regisseur seine Protagonist:innen zurückhaltend behandeln will. Sie müssen nie zu viel über sich und erst recht nicht über ihre Nächsten verraten.

Aber diese Diskretion hat auch den Nachteil, dass man von vielen persönlichen und womöglich dramatischen Entwicklungen ausgeschlossen bleibt. Interessant wird «Zehn Jahre» deshalb vor allem in dem, was man zwischen den Zeilen liest: Wenn Pascal von seinem Coming-out erzählt oder die unglücklichen Ereignisse im Familienbetrieb andeutet, kann man sich nur ausmalen, warum es ihm so gut gelingt, den Zwang zur Reorientierung zur eigenen Neuerfindung zu nutzen. Während Lehrerin Hanna auf fast unheimliche Weise stabil bleibt, erzählt Ärztin Lucia am offensten von ihren Unsicherheiten und Fehlern als Berufsanfängerin. Noch interessanter ist die kleine Andeutung über den sozialen Aufstieg, den sie schliesslich mit eigenem Haus besiegelt glaubt. Ganz kurz nur scheint hier auf, was der Film versäumt: danach zu fragen, welche Rolle Klasse und Herkunft in diesen Lebensentwürfen wohl spielen.