Film: Wofür die Sprache fehlt

Nr. 11 –

Filmstill aus «Les paradis de Diane»
«Les paradis de Diane». Regie: Carmen Jaquier und Jan Gassmann. Schweiz 2024. Jetzt im Kino.

«Wenn man die Menschen öffnet, findet man in ihrem Inneren Landschaften», sagt die ältere Rose (Aurore Clément) ein bisschen à propos de rien zu der ihr zugelaufenen Diane ­(Dorothée de Koon). Vermutlich war Rose einst selbst in die unbenannte spanische Partystadt geflüchtet. Auf den Strassen tobt das unscharf-farbige Chaos der Ausschweifung. In der Ferne, gut sichtbar von der Hochhauswohnung, auf deren Balkon die beiden sitzen, eine einsame, spitzige Insel. Wenn die innere Landschaft nicht mit der äusseren übereinstimmt, muss man eine der beiden verlassen.

Ein paar Tage vorher, in Zürich. Zärtlicher Sex, Diane hochschwanger. Schnitt. Die Qualen der Geburt, der Blick des Vaters voller Fürsorge. «So glücklich» sei er und stolz. Dann ist das Baby da, und mit ihm kommen die Verwandten, die über den Vornamen spekulieren. In der ersten Nacht ist Diane alleine mit der schreienden Tochter, durch eine Stoffwand beobachtet sie eine andere Mutter, die ihr Baby beruhigend in die Arme nimmt. Diane geht zum Snackautomaten, doch der ist kaputt. Schnitt. Diane steigt in den Bus Richtung Spanien. Dort angekommen, verlangt sie in einer Apotheke nach starken Schmerztabletten. Nein, sie sei nicht am Stillen. Im Hotellift bemerkt sie, dass ihr Pulli voller Milchflecken ist. Auf dem Balkon benutzt sie zum Kühlen zwei Coladosen und geniesst die Aussicht.

Ein Tabuthema, heisst es, werde in «Les paradis de Diane» verhandelt, aber ein Tabu ist auch einfach etwas, wofür einem die Sprache fehlt. Etwas hilflos, wie um dies zu illustrieren, sagt der Vater später einmal zu Diane, sie habe «nicht das Recht dazu». Wozu? Der Film von Carmen Jaquier und Jan Gassmann verzichtet glücklicherweise darauf, das sprachlich, psychologisch oder gar gut gemeint pathologisierend zu ergründen. Stattdessen: totale, sinnliche Subjektivität, Flucht, Stadt, Chaos, Farben, Musik, Körper, Schmerz, Trauer, Rausch, Leben. Keine Krankheit, sondern ein langsames Genesen, bis es am Ende auch der Letzte verstanden hat: Diane ist keine Mutter.