Auf allen Kanälen: Konstruierte Fremdheit

Nr. 13 –

Mustafa Aticis Sprachkenntnisse werden im Wahlkampf für den Basler Regierungsrat angezweifelt. Das ist beschämend und diskriminierend.

stilisiertes Foto von Mustafa Atici

«Atici for President» – das fordert ein Graffiti am Bahnhof Basel, an dem täglich Tausende Pendler:innen vorbeifahren. Präsident wird der SP-Politiker mit Sicherheit nicht, das Rennen um den frei werdenden Sitz in der baselstädtischen Kantonsregierung wird er aber mit grosser Wahrscheinlichkeit für sich entscheiden. Der Wahlkampf, der mit dem zweiten Wahlgang am 7. April zu Ende geht, ist geprägt von fremdenfeindlichen Ressentiments, die vordergründig über eine Sprachdiskussion ausgetragen werden.

Verzweifelte Gegner:innen

Der in der Türkei geborene Kurde Mustafa Atici kam 1992 im Alter von 23 Jahren in die Schweiz, um eine Weiterbildung zu absolvieren, und blieb. An der Universität Basel machte der studierte Industrieingenieur ein zweites Studium, verliebte sich und gründete eine Familie. Heute ist der 54-Jährige erfolgreicher Gastrounternehmer und arbeitet als Berater. Seit 2001 ist er Mitglied der SP, er sass von 2005 bis 2019 für die Partei im Kantonsparlament und von 2019 bis 2023 im Nationalrat.

Nun kandidiert er für den Regierungsratssitz, der dank Beat Jans’ (SP) Wahl in den Bundesrat frei wurde. Sein Gegner ist der FDP-Politiker Luca Urgese, den die Bürgerlichen geschlossen unterstützen. Da Atici im ersten Wahlgang knapp 4000 Stimmen vor dem freisinnigen Kandidaten lag und voraussichtlich weitere Stimmen aus dem Grünen-Lager erhalten wird, ist die Ausgangslage für den SP-Politiker komfortabel.

Vielleicht liegt es an der Verzweiflung seiner Gegner:innen, dass der Ton im Wahlkampf für Basler Verhältnisse ungewöhnlich giftig ist. Auffallend ist dabei das immer wiederkehrende diskriminierende Narrativ, das in einem vermeintlich harmlosen Gewand daherkommt: das Anzweifeln von Aticis Kompetenz aufgrund seiner «mangelhaften» Sprachkenntnisse. Die Frage, ob Aticis Deutschkenntnisse für den Regierungsrat reichten, wabere «vorwurfsvoll, aber unausgesprochen durch die politisch-mediale Blase», schrieb die «Basler Zeitung» («BaZ») Anfang Februar. Ganz so unausgesprochen blieb sie indes nicht: So hob etwa Benjamin von Falkenstein, Vorstandsmitglied der Liberal-Demokratischen Partei (LDP), auf der Plattform X wiederholt Aticis sprachliche Fehler hervor.

Immer wieder besprochen wurde die Frage in den Basler Medien: vom lokalen Blog «arlesheimreloaded», der eine regelrechte Kampagne gegen den SP-Politiker fährt («Mustafa Atici – sein erstes und wichtigstes Problem ist die Sprache, das kann man nicht schönreden»), über die «BaZ», die immer wieder Aticis «imperfektes» Hochdeutsch betont, bis zum Onlinemagazin «Bajour», das die Sprachdebatte zwar mehrfach kritisierte, selber aber auch fragt: «Ist man im Jahr 2024 bereit, einen Politiker mit unvollkommenem Deutsch in den Regierungsrat zu wählen?»

Es ist klar, was mit dem gebetsmühlenartigen Herumreiten auf Aticis angeblich mangelhaftem Deutsch – womit oft gemeint ist, dass er keinen Dialekt spricht – erreicht wird: Seine nicht «urschweizerische» Herkunft wird herausgestellt, seine «Andersartigkeit» und «Fremdheit» immer wieder aufs Neue konstruiert und hervorgehoben.

Hasserfüllte Mails

Eine als mangelhaft oder anders empfundene Sprache ist eines der typischen Merkmale, aufgrund deren Menschen mit Migrationsgeschichte Rassismus erfahren. Die Art und Weise, wie über Atici gesprochen wird, hat Folgen: «Ich habe noch nie so viele hasserfüllte Mails und Kommentare erhalten», sagt der Politiker auf Anfrage der WOZ. Er habe das sonst immer kleingeredet, sich nicht als Opfer fühlen und Menschen lieber ermutigen als deprimieren wollen. Doch der aktuelle Wahlkampf sei anders: Diesmal stimme es auch ihn wirklich nachdenklich.

Ist der Schritt in die Regierung vielleicht auch einigen vermeintlich weltoffenen Basler:innen einer zu viel? Der «Ausländer» darf mittlerweile nicht mehr nur zudienende Berufe ausüben, vielleicht begegnet man ihm gar auf Augenhöhe. Aber dass man von einem wie Atici regiert würde – das ginge dann doch zu weit.

Die Frage, ob seine Sprachkenntnisse für das Amt ausreichten, hat Atici übrigens bei diversen Gelegenheiten bereits abschliessend beantwortet: Wenn es für ein Studium, ein Unternehmen, für knapp vierzehn Jahre Tätigkeit im Kantonsparlament und eine Legislatur im Nationalrat reiche, dann werde es ziemlich sicher auch für den Regierungsrat genügen.