Von oben herab: Mehr Dessert wagen
Stefan Gärtner über Schweizer Schnippchen

Mein lieber Freund Ruedi muss, kann und wird es mir verzeihen, dass ich einen Abstecher ins Südwestdeutsche nur eben so bis in die Schweiz verlängern konnte, bis nach Basel nämlich, wo ein alter Freund in persönlichen Turbulenzen steckt; und also gingen wir abends erst einmal essen, in grösserer Runde und in ein Lokal, das natürlich nicht die «Kronenhalle» war, mir aber so vorkam, spätestens bei der Rechnung. Ausser mir arbeiteten alle in einer lukrativen, zukunftsträchtigen Branche, und ich fand mich unversehens eingeladen, und sagen wir so: Ich habe mich nicht gewehrt, ja war richtiggehend erleichtert.
Wir waren zu fünft, und drei kamen aus Deutschland, und schon ist Arthur Rutishauser, Chefredaktor der «SonntagsZeitung», glänzend bestätigt: «Der Grund für die hohe Zuwanderung in der Schweiz ist nicht die Personenfreizügigkeit mit der EU, sondern das Wirtschaftswachstum in der Schweiz, das enorm viele Arbeitsplätze schuf, sodass die Schweiz aus der EU sehr viele Arbeitskräfte anzog.» Nun weiss ich nicht, ob das Schweizer Wirtschaftswachstum für ausgerechnet meinen Schweizer Job zuständig ist, aber «ohne die Unterstützung der Nationalbank wären die Arbeitsplätze niemals in der Schweiz entstanden, und schon gar nicht in der Exportindustrie», weil die Nationalbank verhindert hat, dass der Franken noch härter wurde, als er schon ist. «Wenn es jetzt darum geht, auf Trumps Zölle zu reagieren, sollten wir vielleicht weniger an Vergeltungsmassnahmen denken, die Trump sowieso nicht beeindrucken können», denn der produziert seinen eigenen Käse, und zwar tonnenweise, und ist auf den aus der Schweiz nicht angewiesen, «sondern mehr daran, wohin die Schweiz will».
«Ich will mal irgendwo hin», sang Tom Liwa mal, aber das hat Rutishauser garantiert nicht auf seiner Playlist, der ja nicht Chefredaktor geworden ist, um die Schweiz nicht auf festem, gutem Kurs wissen zu wollen. Er möchte überhaupt nirgends hin, vor allem nicht in die EU, obwohl Economiesuisse gern vor Trump und seinen Mörderzöllen (1000 Prozent auf Rivella blau) nach Brüssel flüchten würde. «Doch gegen den helfen die Bilateralen nicht mehr, denn die würden frühestens 2029 in Kraft treten, und dann ist Trump schon wieder weg», und das liebe ich an der Schweiz mindestens ebenso sehr wie Restaurants mit (für mich) kostenlosen Dessertwagen: dieses Gottvertrauen. «Eine Kriegsgefahr besteht frühestens 1938, und dann ist Hitler schon wieder weg» – diese vermutlich ausgedachte Prognose hat sich ja leider nicht bewahrheitet, und ich hoffe sehr, Rutishauer haut nicht daneben, es wäre ja nun für wirklich alle besser, sogar für die Widerlinge vom Schlage Bezos/Musk, was man so ironisch finden kann, wie dass der Faschismus die Schweiz zu einem europäischen Land machen könnte. Das kann Blocher nun wirklich nicht gemeint haben!
Rutishauser hat jedenfalls Ideen, wie man Europa und den Amis zugleich ein Schweizer Schnippchen schlagen kann: «Beispielsweise könnte man die Mindestbesteuerung für Unternehmen sistieren, die wir ja nur auf Druck der Amerikaner eingeführt haben. Und die Nationalbank könnte eine gewisse Aufwertung des Schweizer Frankens zulassen, was die Konjunktur abkühlen, die Zuwanderung senken und den Handelsüberschuss im Verhältnis zur USA verringern würde.» Hier überzeugt zweierlei: dass auch Chefredaktoren nicht wissen, dass die USA ein Plural sind, und ausgerechnet die Amis der Schweiz eine Mindestbesteuerung für Unternehmen verordnet haben, was ein bisschen so ist, als würde die «Kronenhalle» dem Restaurant der Basler Kunsthalle (brauner Bereich) empfehlen, nicht immer nur an Gäste aus lukrativen, zukunftsträchtigen Branchen zu denken, sondern auch einmal an den Besucher im Momox-Sakko, dem eine gewisse Aufwertung des Frankens gerade noch gefehlt hätte.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.