Filmfestival: Auf den Kopf gestellt

Nr. 20 –

Diesen Artikel hören (2:55)
-15
+15
-15
/
+15
Still aus dem Film «Dislocation Blues»
Videoex – Internationales Experimentalfilm & Video Festival in: Zürich Walcheturm, 16.–25. Mai 2025. Programm und Infos: www.videoex.ch.

«Unsere Geschichten waren verschieden, aber sie schienen perfekt zueinander zu passen», sagt der indigene trans Künstler Shaawan Francis Keahna über die Stimmung im Standing-Rock-Protestcamp von 2016/17. «Dislocation Blues» heisst dieser dokumentarische Kurzfilm von Sky Hopinka über die Proteste. Und wie andere Werke des Filmemachers der Ho-Chunk Nation, der jetzt als Gast ans Zürcher Videoex kommt, bleibt auch dieses fragmentarisch, irritierend, suchend – und insbesondere vielstimmig. Denn nie sei eine einzige Person, so betont Keahna im Film, die Autorität für irgendetwas.

Nicht nur visuell erwecken Sky Hopinkas Kurzfilme den Eindruck eines Kaleidoskops: Landschaften werden überlagert und/oder auf den Kopf gestellt, Sprachfragmente aus diversen Quellen und Epochen überkreuzen, widersprechen, ergänzen sich. Nicht alles müsse kontextualisiert oder (dem weissen Publikum) erklärt werden, meinte Hopinka einst.

Keine alleinige Autorität, keine künstlerische oder akademische Disziplin, keine Sprache und keine filmische Form kann gegenwärtige oder historische Realitäten ganz abbilden. So müsste das Ziel wohl tatsächlich sein, «Geschichten» zu finden, die «zueinander passen». Etwa jene der Neuenburger Künstlerin Laurence Favre, die sich mit «dekolonialer Ökologie» beschäftigt, im Schweizer Fokus des Festivals.

Dass es so etwas wie eine passive, unbeseelte Natur nicht gibt, macht ihre Trilogie «Corpus Animale» mit überwältigendem analogem Bildmaterial und Tondesign erfahrbar. Und in «Lettres au Docteur L.» (2025) setzt Favre den Bericht eines Missionsarztes aus dem 19. Jahrhundert in einen Dialog mit Stimmen aus dem Südafrika der Gegenwart. Dabei wird der Bericht in seiner so naiven wie zerstörerischen Überheblichkeit blossgestellt – wobei er sich in seiner Grundannahme von einer wilden Natur, die es zu «zivilisieren» gelte, weder in der Haltung noch im Ton nennenswert von dem unterscheidet, wie ausbeuterische Unterfangen in der Gegenwart legitimiert werden.