Beirut: In der Stadt der Widersprüche

Nr. 41 –

Mit ihrem neuen Buch «Beirut. Splitter einer Weltstadt» gibt WOZ-Autorin Meret Michel einen Einblick in die libanesische Kapitale, in der Instabilität ein Dauerzustand ist. Dazu hat sie mit vielen Bewohner:innen gesprochen, die eine Art Hassliebe zur Stadt empfinden. Ein Vorabdruck des Vorworts.

Sicht von Meret Michels Balkon in Beirut
Mitten in der Stadt – und doch wie draussen in der Natur: Sicht von Meret Michels Balkon in Beirut.

Ein früher Sonntagmorgen. Ich schliesse die Tür zu unserem Haus auf, hieve unseren Koffer über die Schwelle, wir treten ein. Die Wohnung wirkt merkwürdig leer. Den grossen Teppich in der Mitte des Raumes hat meine Freundin, die sich in den letzten Monaten um das Haus gekümmert hatte, offenbar weggeräumt. Wie immer, wenn ich von einer Reise zurückkehre, gehe ich zuerst zur Metalltür hinter dem dunklen Holzschrank im Wohnzimmer, die zur Terrasse hinausführt.

Draussen scheint die Morgensonne auf die gemusterten Keramikplatten. Die Terrasse sieht noch genau so aus, wie wir sie zurückgelassen hatten an jenem Vormittag im vergangenen Oktober, als wir mit unserem Koffer zum Flughafen fuhren und nicht wussten, wann wir wiederkommen würden. Der Holzstuhl, den wir in jenen Tagen des Krieges vom Wohnzimmer auf den Balkon neben den runden Holztisch gestellt hatten, steht noch an derselben Stelle. Die Aussicht ist wie immer, als wäre nichts geschehen: das rosa gestrichene, alte Haus ein paar Dutzend Meter vor uns, die dicht bebaute Hügelflanke dahinter, links der wild gewachsene Wald am abfallenden Hang.

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