Serbien: Hetze aus der Vorstadt

Knapp ein Drittel aller Stimmen: Die rechtsextremen Radikalen haben bei den Parlamentswahlen in Serbien ein Glanzresultat erzielt. Wer hat sie gewählt?

Cukarica, ein heruntergekommener Vorort Belgrads, ist weder Stadt noch Land. Neben Reihen von Wohnblocks aus den siebziger Jahren stehen baufällige Häuschen mit Gemüsegärten. Cukarica ist ohne jegliche Stadtplanung entstanden. Die Anbindung an den öffentlichen Verkehr ist schlecht: Fast eine Stunde benötigen die AnwohnerInnen, um in einem klapprigen Bus ins Stadtzentrum zu gelangen. In Cukarica leben die «städtischen Bauern», wie die BelgraderInnen die BewohnerInnen solcher Vorstädte nicht ohne verächtlichen Unterton gerne nennen: Menschen aus den armen Teilen Serbiens und Jugoslawiens, die in den siebziger Jahren hierher gezogen sind, sowie Flüchtlinge und Vertriebene der Konflikte der neunziger Jahre.

Die Serbische Radikale Partei, die bei den Parlamentswahlen am 28. Dezember 27,7 Prozent der Stimmen erhalten hat, ist in diesen Vorstädten zu Hause. Hier hat die extreme Rechte in den neunziger Jahren ihren Aufstieg begonnen, mit Hilfe der Stimmen der am meis-ten benachteiligten Bevölkerung. Auch Flüchtlinge gehören zur Wählerschaft der Ultranationalisten. Viele von ihnen leben in kollektiven Aufnahmezentren. Die serbische Regierung und das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge versuchen seit einem Jahr, diese zu schliessen. 130 Zentren haben bereits zugemacht. Die arbeitslosen Flüchtlinge, die dort lebten, erhielten einen kümmerlichen Batzen und liessen das «Lumpenproletariat» der Vorstädte noch mehr anschwellen. Milosevic habe die Serben aus Kroatien, Bosnien und dem Kosovo verraten, sagt ein Anhänger der Radikalen, der aus Kroatien stammt, während sich die demokratischen Bewegungen «ans Ausland verkauft» hätten. Deshalb bleibe nur noch die extreme Rechte.

Die 200 000 aus dem Kosovo vertriebenen SerbInnen haben grösstenteils für die Radikalen gestimmt, so wie auch die gegen 90 000 serbischen WählerInnen, die noch in dem internationalen Protektorat leben. «Kein einziger Politiker des Reformflügels von Bedeutung hat sich für den Wahlkampf in den Kosovo bemüht», sagt Dusan Janjic, der Koordinator des Forums für interethnische Beziehungen in Belgrad. «Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die Kosovo-Serben sich im Stich gelassen fühlten und für die Radikalen stimmten.»

Die Aussicht auf die Integration in Europa, die die Reformkräfte des demokratischen Lagers den WählerInnen boten, blieb bei der Wählerschaft der Radikalen ohne Wirkung. Die Lebensbedingungen der verarmten RentnerInnen, der Flüchtlinge und der BewohnerInnen der Vorstädte haben sich seit dem Sturz von Milosevic nicht verbessert.

Vojislav Seselj, der heute wegen Kriegsverbrechen vor dem Uno-Tribunal in Den Haag angeklagt ist, hatte die Serbische Radikale Partei 1990 gegründet. Während der Kriege in Kroatien und Bosnien (1991-1995) unterhielt die Partei Milizen. Sie beteiligte sich an den Regierungen von Slobodan Milosevic, überbot diesen aber noch an Nationalismus. So schlug Seselj beispielsweise vor, mit Messern sparsam umzugehen, dafür aber «den Kroaten mit rostigen Löffelchen die Kehle durchzuschneiden». In den neunziger Jahren knüpfte die Radikale Partei gute Kontakte zum französischen Front National und zu anderen Gruppierungen der extremen Rechten. Seit dem Sturz des Regimes Milosevic versucht die Partei, all diejenigen zu vereinen, die vom schwierigen Übergang in Serbien enttäuscht sind.

Bis heute verfolgt die Serbische Radikale Partei das Ziel eines «Grossserbien». Der stellvertretende Parteichef, Tomislav Nikolic, hat noch am Vorabend der Wahlen erklärt, der Kosovo sei «serbisches Land» und Bosnien «ein Land, das nicht überleben kann». Offiziell angeführt wurde die Liste der Radikalen von Seselj. Doch dieser sitzt seit letztem Februar im internationalen Gefängnis in Scheveningen. Nikolic hat sich nach dem Wahlerfolg beeilt zu erklären, der Sieg der Radikalen sei hauptsächlich ein «Sieg von Seselj» und eine «Ermutigung für alle Serben, die in Haft sitzen».

Trotz der 83 von insgesamt 250 Sitzen im Parlament sind die Radikalen nicht in der Lage, die Regierung zu bilden. Aber sie verfügen über eine Sperrminorität, was die Aufgabe des zersplitterten demokratischen Lagers noch weiter erschweren wird. «Ohne uns wird die serbische Verfassung nicht mehr geändert werden können», freut sich Nikolic.

Unmittelbar nach den Wahlen schlug Nikolic der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Kostunica vor, eine Koalition zu bilden, denn die Programme beider Gruppierungen wiesen «zahlreiche Ähnlichkeiten auf». Tatsächlich geht die DSS in vielen Punkten mit den Radikalen einig, insbesondere in der heftigen Kritik am Uno-Kriegsverbrechertribunal. Doch der ehemalige jugoslawische Präsident Kostunica wollte im demokratischen Lager verankert bleiben und schlug das Angebot der Radikalen aus.

Wahrscheinlich wird es in Serbien zu einer Grossen Koalition kommen, bestehend aus DSS, der Demokratischen Partei des ermordeten Regierungschefs Zoran Djindjic und der G17+, der Gruppe von marktliberal orientierten Wirtschaftsexperten. Diese drei Gruppierungen, die einst im Kampf gegen das Regime Milosevic vereint waren, müssen sich zusätzlich noch mit den Monarchisten von Vuk Draskovic arrangieren, die wieder auf der politischen Bühne aufgetaucht sind.

Doch die vier Gruppierungen, die zusammen die Regierung bilden könnten, haben in grundsätzlichen Fragen divergierende Meinungen. Es stehen also schwierige Gespräche bevor. Die EU wird wahrscheinlich auf die Bildung einer Grossen Koalition drängen. Eine solche Regierung wird aber über keinerlei politische Kohärenz verfügen. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass schon bald erneut Wahlen stattfinden müssen.