Seymour Hersh: Die Befehlskette

Seymour Hersh enthüllt. Der berühmte Recherchejournalist aus Washington zeichnet in seinem neusten Buch «Die Befehlskette» die Umstände nach, wie die US-Geheimdienste den Terrorüberfall vom 11. September 2001 verschliefen, danach auf Veranlassung des Verteidigungsministeriums die geheime Spezialtruppe SAP zwecks Menschenjagd aufstellten, wie rechte Hardliner in der US-Regierung mit Lügengeschichten den Irakkrieg anzettelten und schliesslich Folter wieder zum gängigen Instrument im Kampf gegen angebliche Terroristen und Aufständische wurde. Hersh stützt sich in seinen Berichten auf eine grosse Zahl von InformantInnen aus Regierungs- und Geheimdienstkreisen.

David Remnick, Chefredaktor des «New Yorker», schreibt im Vorwort des Buches, dass Hersh «eine starke Affinität zu Menschen hat, die im Militär dienen». Hersh selber soll mal gesagt haben, er hole sich seine Storys nicht von «irgendwelchen netten Altlinken», sondern von «guten, altmodischen Anhängern unserer Verfassung». Das ist sicher nur zum Teil richtig. Oft gelingt es Hersh auch, die grossen Rivalitäten zwischen verschiedenen Militäreinheiten und Geheimdiensten auszunützen.

CIA-Agenten machen sich über stümperhafte Aktionen des militärischen Geheimdienstes Luft, oder FBI-Mitarbeiter ärgern sich bei Hersh über Einmischungsversuche des Pentagons. Das macht neben neuen Enthüllungen aus der jüngeren US-Geschichte den Reiz des Buches aus: Das Denken in den Machtzirkeln Washingtons wird fassbarer. Hersh hält sich dabei mit Bewertungen nicht zurück: Er ist selber, so scheint es, einer jener etwas altmodischen Anhänger der Verfassung, Kämpfer im Auftrag der Menschenrechte.

Seine Recherchen über die Folterungen in Abu Ghraib führen ihn zur Schlussfolgerung, dass hier nicht einfach einige GefängniswärterInnen überreagiert haben, sondern dass «Abu Ghraib zu einem Nachrichtenzentrum für den globalen Krieg gegen den Terrorismus umgewandelt werden sollte». Die geheime Truppe SAP vergleicht er mit den Sondertruppen im Vietnamkrieg, die im Rahmen des Programms «Phönix» mutmassliche kommunistische Sympathisanten in Südvietnam eliminierten. Hersh weiss, wovon er schreibt. Der Pulitzerpreisträger deckte 1969 das Massaker der US-Armee im vietnamesischen My Lai auf.

Seymour Hersh: Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib. Rowohlt Verlag. Hamburg 2004. 399 Seiten. Fr. 26.80