SP-Delegiertenversammlung: Kriegsspiel in Wirtschaft und Politik

Seit den Terroranschlägen vom 11. September reden sich die Politiker in einen geistigen Belagerungszustand hinein.

Die ersten Interviews, die ich am 11. September auf CNN hörte, wurden mit amerikanischen Militärstrategen geführt. Ihr Kriegsgeheul war unmissverständlich: Weder Investitionen in Gesundheit noch Bildung seien nötig, so ihr Fazit gleich nach den Anschlägen, sondern mehr Gelder für die militärische Sicherheitspolitik. Auch in der Schweiz rufen die bürgerlichen Parteien seit dem 11. September nach mehr Schnüffelstaat und Landesverteidigung. Sie kündigten sofort dringliche Vorstösse für die Herbstsession an. Die Kriegsrhetorik dominierte am ersten Sessionstag auch in der Wandelhalle.

Die Gleichgültigkeit des Westens und insbesondere der US-Regierung gegenüber sozialer Ungleichheit und Armut ist eine der Ursachen für den Terrorismus. Aber die Frage nach Ursachen hat keinen Platz angesichts von militärischem Aktivismus und neben einem pauschalen Feindbild, das seit dem Ende des Kalten Krieges gepflegt wird. Vor diesem Hintergrund stehen der schweizerischen Linken zwei wichtige aktuelle innenpolitische Diskussionen bevor: zum einen die Zukunft des Service public und zum anderen die Weichenstellung in der Sicherheits- und Friedenspolitik. Die Delegiertenversammlung der Sozialdemokratischen Partei wird am kommenden Samstag zu beiden Fragen Position beziehen.

Die Militarisierung der Wirtschaft ist längst Wirklichkeit. Wenn ein ehemaliger Strategieberater der amerikanischen Armee im Golfkrieg heute Wirtschaftsbosse aus Schweizer Grosskonzernen ausbildet («Tages-Anzeiger» vom 10. 9. 2001!), dann werden Konkurrenten zu Feinden. Für den Wettbewerb auf den Märkten braucht es Schlachtpläne. «Business Wargames» heissen die Rollenspiele, in denen Manager an Weiterbildungsveranstaltungen mit «dynamischer strategischer Simulation» die Globalisierung meistern. Aber wie in allen Kriegen stehen auch bei den Kriegsspielen der Manager die wirklichen Opfer schon von Beginn weg fest: Denn der Neoliberalismus führt längstens den Krieg der Starken und Reichen gegen die Schwachen und Armen.

Die Kriminalisierung aller GlobalisierungskritikerInnen gehört zur Strategie der Mächtigen dieser Welt. Die verletzliche Supermacht USA demonstriert in diesen Tagen dieses Feind-Freund-Denken eindrücklich, auch wenn die kritischen Stimmen im Land selber lauter werden. In der Schweiz stösst die Politik der Schliessung von Poststellen auf den breiten Widerstand der Bevölkerung, und in Kantonen, Gemeinden und Städten wird die Privatisierung von Strom- und Wasserwerken abgelehnt. Das Referendum gegen das Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) ist unter aktiver Mithilfe von SP-Kantonalparteien und -sektionen zustande gekommen und wird erstmals schweizweit eine öffentliche Auseinandersetzung über die schleichende Privatisierung der Energieproduktion und -versorgung erlauben. Eine gute Grundversorgung der gesamten Bevölkerung in allen Serice-public-Bereichen ohne Kapitulation vor Sankt Markt gehört zu den Kernanliegen der SP-Wirtschaftspolitik: Deshalb kann die SP zum EMG nur Nein sagen.

In diesem Sommer stimmte eine knappe Mehrheit der Bevölkerung für die Militärgesetzrevision. Die SP-Delegierten beschlossen mit einer Zweidrittelmehrheit die Ja-Parole, und die linken Nein-Argumente hatten in der Abstimmungskampagne neben dem SVP-Nein einen schweren Stand. Das knappe Ja des Volkes war dennoch auch eine Kritik an der ausschliesslich militärpolitischen Argumentation des Bundesrates und kein Freipass für ein stärkeres militärisches Engagement der Schweiz im internationalen Zusammenhang.

Letzte Woche verteidigte Bundesrat Samuel Schmid erfolgreich sein Rüstungsprogramm. Kürzungs- oder Ablehnungsanträge blieben chancenlos. Der zentrale Anspruch bleibt demgegenüber: Es braucht mehr ziviles als militärisches Engagement. Die Schweiz – und allen voran der Bundesrat – muss sich nun mit allen Kräften für einen raschen Uno-Beitritt einsetzen, wenn sie sich nicht mit einer militärischen «Öffnung» begnügen will. Die Voten der bürgerlichen VertreterInnen in der Uno-Debatte, die ebenfalls vergangene Woche im Nationalrat stattfand, waren allerdings deklamatorisch und wenig überzeugend. Auf ihren Einsatz in der bevorstehenden Uno-Abstimmungskampagne kann nicht gezählt werden.

Die Ja-Empfehlung der SP-Geschäftsleitung zu den beiden GSoA-Initiativen hat einen medialen Empörungsschrei ausgelöst. Dabei hätte die mit 6 zu 4 Stimmen zustande gekommene Unterstützung der Armeeabschaffungsinitiative nicht überraschen müssen. Wer die Debatte im nationalen Parlament verfolgt hat, hätte auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass 32 SP-Mitglieder in der Schlussabstimmung im Nationalrat den Ja-Knopf gedrückt haben, während nur 8 Nein stimmten und 9 sich der Stimme enthielten. Ein doppeltes Ja zu den Volksinitiativen «Für eine Schweiz ohne Armee» und «Für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst» ist gerade nach den jüngsten Gewaltereignissen folgerichtig: Die finanziellen Mittel zur Unterstützung ziviler Friedensprojekte und für die Entwicklungszusammenarbeit müssen massiv verstärkt werden. Die politische Rechte verlangt umgekehrt bereits eine Kürzung dieser Mittel.

Jeden Tag sterben gemäss dem Uno-Kinderhilfswerk Unicef 30 000 Kinder unter fünf Jahren, weil sie nicht genug zu essen haben oder nicht medizinisch versorgt werden. Wir wissen es, aber ziehen wir die Konsequenzen daraus? Der Beitrag der Schweiz im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit muss bei den Konfliktursachen ansetzen. Um dies zu erreichen, braucht es eine Umverteilung der Mittel, weg von Militär und Hochrüstung, hin zu ziviler Friedensförderung und Armutsbekämpfung. Denn mit den weltweiten Rüstungsausgaben eines Tages könnten 30 Millionen Menschen vor dem Hungertod bewahrt werden.

Die Frage nach dem Sinn einer Armee darf – ja muss – immer wieder neu gestellt werden. Über eine Million Schweizer Franken kostet der Mythos von einer wehrhaften Schweiz jede Stunde. Allein in den nächsten Jahren sollen weitere 30 Milliarden Franken für Rüstungsgüter ausgegeben werden, die wieder auf dem Schrotthaufen landen. Das letzte Wort haben die Delegierten der SP am kommenden Samstag.

In Bundesbern zeigt der neue geistige Belagerungszustand Wirkung: Soeben hat es die Mehrheit des Parlamentes abgelehnt, über mögliche Lösungen für die Sans papiers in der Schweiz auch nur zu diskutieren.

Siehe auch das WOZ-Dossier «Die USA im Krieg».