Mämä antwortet: Was, die Uefa ist schlimmer als die Fifa?
Die Aussagen von Mämä Sykora, Chefredaktor des unabhängigen Fussballmagazins «Zwölf», im dritten Teil des Monatsgesprächs mit ihm (siehe WOZ Nr. 24/2016) haben Widerspruch ausgelöst: Hierzu ein Ausschnitt aus dem Mailverkehr zwischen Thomas Plattner, einem kritischen FC-Basel-Fan, und Sykora.
Thomas Plattner: Die Fifa soll also gut sein, unter anderem weil sie Fussballplätze baut und alle Landesverbände gleich viel Geld erhalten? Was mit diesem Geld dort aber passiert: kein Thema? Hallo? Das viele Geld, das diese Organisation verdient und an die Landesverbände verteilt, könnte sie wohl deutlich besser investieren (überall auf der Welt) als in Fussballplätze!
Mämä Sykora: Die Fifa ist nicht «gut», aber die Idee der Fifa ist gut. Dass zweifelsohne vielerorts die gesprochenen Gelder von Verbandsoberen abgezweigt oder zweckentfremdet werden, ist ein bekanntes Übel. Wir hatten im «Zwölf» mal eine Geschichte über ein Programm für Fussballtore, ein kleines Stadion und einen Verbandssitz auf Anguilla. Dort wurden jährlich Hunderttausende US-Dollar gesprochen, mit denen kaum etwas Entsprechendes bewerkstelligt wurde. Das ist aber nur bedingt die Schuld der Fifa, sondern vielmehr ein Problem korrupter Landesverbandspitzen. Was man der Fifa unbedingt vorwerfen muss, ist die Tatsache, dass viel zu wenig überprüft wird, was mit den Geldern geschieht. Die Idee aber, dass jeder Landesverband die Möglichkeit hat, dank Fifa-Geldern eine Infrastruktur zu schaffen, Trainer auszubilden, einen Ligabetrieb aufrechtzuerhalten und in die Jugendförderung zu investieren, ist sehr gut. Und sie hat dazu beigetragen, dass die Breite deutlich näher zusammengerückt ist. Dank dieser Gelder haben Junge auf der ganzen Welt die Möglichkeit, Fussball zu spielen.
Plattner: Die EM, die Champions League oder irgendwelche andere Meisterschaften der Uefa sollen nur wenige Mannschaften umfassen? So was Elitäres aus Mämä Sykoras Mund finde ich schade. Ebenso sein Argument für die Wahl des Interviewzeitpunkts (das Spiel Polen–Nordirland) – weil diese Partie exemplarisch die Absurdität dieser EM 2016 zeige. Eigentlich sagt Sykora: Solche Spiele sollte es nicht geben an einer EM … Was für ein elitärer Schwachsinn, Tschuldigung!
Sykora: Klar ist es für jedes kleine Fussballland toll, an einer EM dabei zu sein. Ich kritisiere nicht die Tatsache, dass dies möglich ist, sondern die Überlegungen, aus welchen es so weit gekommen ist. Es ist nicht so, dass die Uefa Freude daran hatte, den Kleinen eine Plattform zu geben. Es war der Druck der Grossen, stets dabei sein zu wollen. Die Uefa rechtfertigt ihre Reform stets damit, dass sie zugunsten der Kleinen sei. Das wird eine Zeitlang so gehalten, bis die Grossen (und die Sponsoren) dann bemängeln werden, dass es nicht sein könne, dass so viele Kleinen dabei sind.
Das zeigt sich exemplarisch an der Champions League: 2007 jubelte Uefa-Boss Platini, er habe die Champions League «demokratisiert». Das tat er, als in der Champions-League-Qualifikation der Champions-Weg und der Non-Champions-Weg eingeführt wurde. Davon profitierte beispielsweise der FC Basel, indem er fortan nur noch gegen Meister aus kleineren Ländern anzutreten hatte. Kaum sonst ein Verein hatte aber je Vorteile dadurch. Die Dritten und Vierten aus Spanien und England müssen zwar eine Qualifikationsrunde spielen, dies aber gegen Gegner wie YB oder Sparta Prag. Seit dieser Einführung schafften es nur zwei Vereine (Dynamo Kiew und Braga), sich gegen die Klubs aus den Top-5-Ligen durchzusetzen. Sprich: Den Kleinen wird ein Zückerchen geboten, faktisch sind sie aber ohne Chance.
Noch Schlimmeres wird nun auf uns zukommen: Die grossen Klubs diskutieren derzeit über eine Modusänderung, weil sie es leid sind, gegen Kleine spielen zu müssen. Dem Uefa-Kongress wird vorgeschlagen, eine zusätzliche Quali-Runde einzufügen. Das heisst etwa für den FC Basel: Gesetzt zu sein, ist nicht mehr garantiert. Zuerst muss noch eine Hürde vom Format Valencia oder Manchester City überwunden werden. Für alle andern wird es noch unmöglicher, sich zu qualifizieren. Der Grund dafür ist simpel: Gruppenspiele wie Barcelona gegen Viktoria Plzen oder Bayern München gegen BATE Borisov lassen sich nicht vermarkten. Und weil sogar die Möglichkeit besteht, dass der Grosse verliert, muss diese Gefahr ausgeschaltet werden.
Ich bin überhaupt nicht der Ansicht, die Champions League solle keinen Kleinen zulassen. Das komplette Gegenteil ist der Fall! Wir haben in «Zwölf» einen Gegenentwurf zur Champions League entworfen. Diese beinhaltet nicht nur eine neue Verteilung der TV-Gelder, sondern vor allem eine Beschränkung auf zwei Teams pro Land.
Um auf die Frage zurückzukommen: Das Schlimme an dieser EM ist nicht ein Spiel wie Polen–Nordirland, sondern der dafür notwendig gewordene Modus, von dem ich 1994 hoffte, dass er endgültig begraben worden sei. Weil man mit vier Punkten fast sicher für die Achtelfinals qualifiziert ist, ergibt das teilweise schlimme Spiele. Ein Punkt ist Gold wert, und den versuchen alle Teams zu verteidigen. Bei einer WM braucht man meistens fünf oder mehr Punkte, um weiterzukommen. Wer zwei Siege braucht, spielt deutlich anders als jemand, der allenfalls sogar mit drei Remis weiterkommt.
Plattner: Und dann noch die Argumentation betreffend die Dominanz des FC Basel: Wenn der FCZ, der FC Thun oder wer auch immer aus der höchsten Schweizer Liga seine Champions-League-Teilnahmen nicht sinnvoll «verarbeiten» konnte, ist das kein Thema. Aber so indirekt ist dann halt doch der FCB an seiner Dominanz allein schuld. Die andere Sicht könnte auch sein: Der FCZ hat nach seiner Champions-League-Teilnahme so fast alles falsch gemacht, macht aktuell auch fast alles falsch und hat zudem ganz einfach dilettantische Führungspersonen. Der FC Thun hat nach seiner Champions-League-Teilnahme ebenso fast alles falsch gemacht. Von YB und Sion möchte ich erst gar nicht reden. Mindestens drei dieser vier Mannschaften hätten einige Voraussetzungen, um dem FCB in der Meisterschaft Paroli bieten zu können. Vor diesem Hintergrund finde ich es als Argumentation für die Langeweile in der höchsten Schweizer Liga billig, den vielen Champions-League-Teilnahmen des FCB die Schuld zu geben.
Sykora: Hier muss man differenzieren. Eine Champions-League-Teilnahme nützt genau nichts. Das haben schon unzählige Vereine bewiesen. Eine Champions-League-Teilnahme tilgt gerade einmal das Minus in der Kasse, aber das wars auch schon. Was wirklich etwas bringt, ist die Planbarkeit, im nächsten Jahr auch wieder die Kasse gefüllt zu bekommen. Und die hatte nie ein anderer Verein als der FCB – wenn er als Meister gesetzt war sowieso, mittlerweile kann er dank des hervorragenden Uefa-Team-Koeffizienten auch damit rechnen, in zwei von drei Fällen die Qualifikationsrunde zu überstehen. Der FCB ist immer gesetzt – egal ob als Meister oder Vizemeister – und kann so fast fix mit dreissig Millionen Einnahmen pro Jahr rechnen. Diese Sicherheit wird nie ein anderer Schweizer Verein haben.
Und das ist erst der Anfang: Wer dreissig Millionen in Aussicht hat, kann sich Spieler vom Kaliber eines Derlis Gonzales oder Mohamed Salah leisten. Erstens kann sich der FCB die schon zu diesem Zeitpunkt hohe Ablösesumme leisten, zweitens ist es für den Spieler interessant, weil der FCB in der Champions League spielt. Und das gibt weitere Möglichkeiten: Salah und Gonzales können sich in der Champions League präsentieren, steigern ihren Marktwert und generieren so eine immense Ablösesumme. Auch das kann kein zweiter Verein bieten. Selbst wenn YB oder Sion Salah auch auf dem Radar gehabt hätten: Der Spieler hätte nie dahin gewechselt, weil eben: keine Champions League.
Das alles setzt einen Motor in Gang, der nicht mehr gestoppt werden kann. Auch wenn YB zahlungskräftige Investoren hat – diese dürfen gar nicht mehr machen, als das Minus auszugleichen. Das Financial Fairplay der Uefa verhindert es, dass mehr Geld eingeschossen wird. Die jährliche Summe, die dem FCB garantiert ist, übersteigt das Budget jedes Konkurrenten. Und mit jedem Jahr wird der Vorsprung noch grösser. Erst das gibt diesen Vorsprung.
Link zum dritten Teil des Monatsgesprächs mit Mämä Sykora (WOZ Nr. 24/2016):
Durch den Monat mit Mämä Sykora: Die Uefa ist schlimmer als die Fifa?