Brauner Auflauf in Wildegg
Da sitzen sie also auf der Terrasse des «Schloss-Imbiss» vor dem Bahnhof Wildegg, greifen mit den Fingern in überladene Dönerteller und lassen ihren rassistischen Gedanken freien Lauf. Von den neusten Handys ist die Rede, die Geflüchtete angeblich hätten, sexualisierte Anspielungen werden gemacht und derart widerliche Dinge gesagt, dass diese hier nicht wiedergegeben werden sollen. «Und das Schlimmste», sagt ein Mann Mitte fünfzig mit Pferdeschwanz, «ist ja, dass man das alles gar nicht mehr sagen darf.»
Willkommen im aargauischen Wildegg, vergangenen Samstag. Rechtsextreme und rechte Gruppierungen aus allen Ecken der sozialen Medien haben zur Demo vor einer neuen Asylunterkunft geladen. In einem ausgedienten Hotel ziehen ab diesem Montag bis zu 140 Geflüchtete ein. Die Neonazis von der Jungen Tat haben mobilisiert, die Junge SVP hat gerufen, ein besonders eifriger Fondsmanager aus einem Nachbardorf hat eine Petition lanciert, die Freiheitstrychler sind da und allerhand andere Restanzen aus der Coronazeit. Irgendwann stossen einige Rocker dazu und ein paar lokale Auffällige auf Mofas. Komplettiert wird der Auflauf von älteren Nazis, die an Strassenecken lauern und die Lage beobachten. Eine üble Melange hat sich in Wildegg eingefunden, aber keine, die über die eigene Community hinaus anziehen kann.
Trotzdem stehen vor dem Hotel gut zwei Dutzend Kantonspolizist:innen in Demomontur, die den Zugang dazu abriegeln und immerhin etwas Kulisse bieten für die angereisten Wichtigtuer aus der Telegram- und Youtube-Querdenkerszene, die sich theatralisch vor den Polizist:innen selber filmen. Irgendwann stapft ein Mann mittleren Alters, ein Gelato schleckend, zu einem Bahnpolizisten und klärt diesen ungefragt über «diesen Schnupfen» auf. Schimpfend zieht er sich zurück: «Keiner ist daran gestorben, keiner!»
Es ist eine gescheiterte Inszenierung eines angeblichen Volksaufstands. Trotz beachtlichem Wirbel in den sozialen Medien erscheinen vielleicht fünfzig Personen. Selbst die gut zehn Neonazis von der Jungen Tat stehen irgendwann ratlos auf dem Bahnhofplatz. Einer fängt schliesslich an, das Hotel zu filmen, wird aber sofort von einem Social-Media-geschulten Kameraden korrigiert: «Mach Hoch-, nicht Breitformat!»
Nötig war das alles trotzdem nicht. Der Konflikt brach erst aus, weil der Kanton Aargau noch immer heillos überfordert ist beim Einrichten von Asylunterkünften. Einmal mehr (siehe Fall Windisch) hat der Kanton die Gemeinde und alle weiteren Beteiligten nicht in den Prozess einbezogen. Worauf es zum öffentlichen Disput mit dem Gemeinderat kam. Und sich der Spalt auftat, in den sich die Rechtsextremen zwängen konnten.
P.S.: Ein Lob geht raus an die Gruppe von Antifa-Jungs, die sich immer schön in Sichtdistanz zur Jungen Tat positionierte. Stabil gewesen, stabil geblieben.