Locarno: Fort mit den Firmenlogos!
Seit 23 Jahren ist er Präsident des Filmfestivals Locarno, jetzt absolviert Marco Solari, vielleicht ein paar Jahre später als nötig, seine Abschiedsrunde. In seiner letzten Eröffnungsrede hat er am Mittwochabend von einem «Paradigmenwechsel» gesprochen. Nun, wenn ein abtretender Patron im Hinblick auf seine Nachfolge einen Paradigmenwechsel ankündigt, denkt man unweigerlich: Moment, hat er sich jetzt rückwirkend selber zum Paradigma erhoben?
Aber man könnte auch ganz unbefangen fragen, was das für ein Festival wie Locarno bedeuten könnte, so ein Paradigmenwechsel. Eine mögliche Vision zeigte das Filmfest gleich selber auf, beim Start zur Retrospektive, die dieses Jahr dem klassischen mexikanischen Kino bis 1969 gewidmet ist. Den Auftakt machte «Olimpiada en México», ein berauschendes dokumentarisches Panorama über die Olympischen Spiele von 1968: Ein Weltrekord jagt den anderen, dazwischen kurz die gereckten Black-Panther-Fäuste auf dem Podest – aber nicht der geringste Hinweis auf das Massaker von Tlatelolco in Mexico City zehn Tage vor der Eröffnung, bei dem Sicherheitskräfte 200 bis 300 protestierende Student:innen erschossen.
Doch da ist noch etwas, das ins Auge sticht. Und das an einem heutigen Grossanlass wie hier in Locarno umso stärker auffällt: Bis auf das Signet der Uhrenfirma Omega, die damals die offizielle Zeitmessung besorgte, und auf die Schreibgeräte von Olivetti im Pressezentrum sieht man in dem Film nirgends irgendwelche Firmenlogos, kein Sponsoring, nada. Es sind Bilder wie aus einer unwirklich schönen Welt, weit weg von uns.
Designierte Nachfolgerin von Marco Solari in Locarno, so wurde jüngst verkündet, ist die Basler Mäzenin Maja Hoffmann. Die Roche-Milliardenerbin hat schon die französische Stadt Arles zum Kunstmekka hochgerüstet, mit viel Kunstverstand, einem extravaganten Frank-Gehry-Turm – und sehr viel Kapital. Mit ihrem geschätzten Vermögen von über sechs Milliarden Franken, so hat auch die NZZ festgestellt, könnte Hoffmann das Filmfestival Locarno (Budget: siebzehn Millionen Franken) aus der Portokasse zahlen, und zwar über Jahre hinaus. Die offiziell so genannten «Main Partner» und all die anderen Sponsor:innen, die für dreissig Prozent des Budgets aufkommen, bräuchte es dann nicht mehr. Es könnte aussehen wie damals in Mexiko: ein Volksfest ganz ohne Logos dieser einen Grossbank und anderer Konzerne. Ein echter Paradigmenwechsel.