Eigentlich läuft gerade die Medien-Abschlusskonferenz des Nationalen Forschungsprogramms zu Covid-19 (NFP 78) im Youtube-Stream. Doch irgendwie wirkt Marcel Salathé, Präsident der Leitungsgruppe des NFP 78, als wär er Keanu Reeves im Film «Speed» und müsste wie dieser die Geschwindigkeit eines Busses auf über fünfzig Meilen pro Stunde halten. Speed, also Geschwindigkeit, wird an diesem Dienstagmorgen in Bern gerade zum neuen Mantra der Wissenschaft erklärt.
Wie schnell man doch reagiert habe, betonen auch Nicolas Rodondi, ebenfalls aus der Leitungsgruppe, und Linda Nartey, Vizedirektorin des BAG: Die WHO erklärte am 11. März 2020 Covid-19 zur weltweiten Pandemie, nur wenige Wochen später lancierte der Nationalfonds das NFP 78: 28 Projekte rund um das Virus Sars-CoV-2, seine Übertragungswege und Bekämpfung, 200 beteiligte Forschende, Resultate in nur zweieinhalb Jahren Laufzeit. Der «Jahrhundertkrise» sei man mit einer Beschleunigung der Wissenschaft entgegengetreten, «im Blindflug gestartet» zwar, aber dann: Forschungsresultate im Wochen-, ja, Tagestakt veröffentlicht! Salathé ist begeistert von den Preprint-Servern, die es ermöglichten, Erkenntnisse noch ungeprüft zu veröffentlichen. Im Schnitt geschah das sieben Monate vor der Publikation in einer Fachzeitschrift, die auf Peer-Review-Prozesse setzt, um Resultate zu überprüfen.
Die möglichst rasche Verbreitung der Ergebnisse wird auch im offiziellen Synthesebericht zum Hauptziel deklariert, strategisch kommuniziert via Twitter. Die Plattform, so wird stolz angemerkt, hat die NFP-78-Forschenden (und nicht zuletzt Salathé) zu öffentlichen Expert:innen gemacht. Da Twitter-Nachfolger X «an Glaubwürdigkeit eingebüsst» habe, sei man jetzt auf Mastodon unterwegs – eine offenbar unbefriedigende, da gefährlich bremsende Situation; aktuell fänden sich viele Forschende «ohne einen schnellen und flexiblen Kommunikationskanal wieder».
Rascher, flexibler, überhaupt: effizienter soll die Forschung künftig werden. Das NFP 78 hat da gewisse Mängel offengelegt. Long Covid etwa wurde erst als Problem erkannt, als die Forschungsgelder bereits verteilt waren. Auch die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Behörden soll gestärkt werden, Salathé spricht von Institutionalisierung. Das Modell der beratenden «Task-Force» sei überholt, stattdessen müssten interdisziplinäre wissenschaftliche Netzwerke aufgebaut werden, aus denen sich im akuten Krisenfall rasch ein Ad-hoc-Krisenstab bilden lasse. Preprint-Server und soziale Medien hätten gezeigt, das sich neue Erkenntnisse quasi in Echtzeit verbreiten liessen, heisst es dazu im Synthesebericht: eine «hohe Beschleunigung» von Forschung sei möglich und verspreche einen «neuen Effizienzstandard». «Wo kann die Geschwindigkeit künftig für andere Prozesse mitgenommen werden?», verdeutlicht Salathé die Forderung und meint damit explizit auch ethische Entscheide. Die Bilanz ist klar: In der heutigen Welt ist die Krise das neue Normal, entsprechend lautet das neue «operative Paradigma» der Forschung: Allzeit bereit!
Das Sequel zu «Speed» hiess übrigens «Cruise Control». Ob der Beschleunigungsimperativ für die Wissenschaft der richtige Ansatz ist, um die Kontrolle über den Kurs der Forschung zu behalten?