Wie viele Privilegien verdient ein Sinfonieorchester?
Im Kanton Basel-Stadt erhält die klassische Musik neunzig Prozent der öffentlichen Musikförderung, während sich alle anderen Musiksparten die restlichen zehn Prozent aufteilen müssen. Ist das fair?
Der Missstand, dem die kantonale «Initiative für mehr Musikvielfalt» entgegenwirken will, scheint zunächst offensichtlich. Die Initiative, die im September 2024 zur Abstimmung kommen könnte, fordert, dass Basel-Stadt mindestens ein Drittel seines Förderbudgets im Bereich Musik für das freie, nichtinstitutionelle Musikschaffen ausgibt; ob dies durch eine Erhöhung oder eine Umverteilung des Budgets geschieht, lässt die Initiative offen.
Die Orchestermusik, die einstmals «ernste» Musik hiess, muss also möglicherweise Geld abgeben, um diejenige Musik stärker zu fördern, die einst als «Unterhaltung» abgewertet wurde. Auch wenn diese Abwertung heute antiquiert wirkt, prägt sie die Förderpolitik, die sich trotz diverser Jugendunruhen erstaunlich gut halten konnte, weiterhin stark. Diese grundsätzliche Verteilungsdebatte, die in der Kulturpolitik sonst weiträumig umschifft wird, schwingt bei der Diskussion um die Initiative zumindest mit.
Doch die starke Förderung von Opern, Barockkonzerten oder Neuer Musik nur als alten Hut zu sehen, wäre ebenfalls vereinfacht. Die historisch gewachsene Form und Aufführungspraxis der traditionellen Orchestermusik sind personalintensiv, und dieses Personal hat in den Institutionen anständige Arbeitsbedingungen verdient. Zudem können gewisse Formen von Musik, für die sich nur gerade ein paar Nasen interessieren, ohne staatliche Förderung kaum auf angemessenem Niveau betrieben werden – aber gälte das nicht genauso für Noise oder avantgardistische Rockmusik wie für zeitgenössische Klassik? Was würde ausserdem mit dem geforderten Geld für freischaffende Musiker:innen wie für Programm-, Spielstätten- und Strukturförderung geschehen, zumal diese Bereiche ganz anders organisiert sind als ein Sinfonieorchester? Dank der «Initiative für mehr Musikvielfalt» steht Basel eine interessante und möglicherweise kontroverse Kulturdebatte bevor.
Nun hat die IG Musik Basel, der Verein hinter der Initiative, eine durch ein Crowdfunding finanzierte Studie zu Nachfrage und Angebot von Konzerten verschiedener Sparten in den Kantonen Basel-Stadt und Baselland veröffentlicht. Die Studie zeigt, dass das Bedürfnis für Klassikkonzerte mehrheitlich befriedigt wird, während sich viele Befragte in den Bereichen Pop oder Rock/Punk/Metal mehr Konzerte wünschen. In diesen zwei Bereichen wird ausserdem rund jedes zweite Konzert ausserhalb der beiden Kantone besucht, was auf ein fehlendes Angebot hindeuten könnte. Wenn man die Nachfrage der Bevölkerung mit der Förderpolitik vergleicht, wird ein Missverhältnis deutlich: Fünfzehn Prozent aller besuchten Konzerte sind solche des Sinfonieorchesters Basel, das aber rund drei Viertel des gesamten Budgets für Musikförderung von Basel-Stadt erhält.
Solche Zahlen geben hilfreiche Grundlagen und einige Hinweise für die Diskussion um eine zeitgemässe Musikförderung. Aber ein klarer Auftrag lässt sich daraus nicht ableiten, denn Kulturförderung ist nie bloss eine Frage der Quantität, sei es in Bezug auf Konzertbesuche oder Geld. Doch interessant ist gerade die Diskussion um die Qualität: Hierbei werden ein paar eingesessene Institutionen wieder einmal argumentieren müssen, wieso sie wichtige Arbeit leisten, wofür es ja gute Gründe gibt. Und hoffentlich wird auch deutlich werden, dass sich die faktische Abwertung der Arbeit vieler freischaffender Musiker:innen nicht so einfach verteidigen lässt.