Es sind viele, sehr viele, und es werden noch mehr: In Deutschland demonstrierten am Wochenende Hunderttausende gegen Rechtsextremismus. In München musste die Kundgebung gar abgebrochen werden, weil mit rund 200'000 Personen der Andrang so gross war. Auslöser für die Proteste waren die Enthüllungen der Rechercheplattform «Correctiv» über ein Treffen von Rechtsextremist:innen im November in Potsdam, an dem AfD-Politiker:innen, Unternehmer sowie CDU-Mitglieder teilnahmen. Dabei wurde die Vertreibung von Millionen migrantischen Menschen aus Deutschland diskutiert.
Die Recherche beleuchtete eine Tatsache, die längst bekannt ist: Die AfD ist nicht nur einfach eine rechte Partei, die die offene Gesellschaft ablehnt und ein völkisches Weltbild hat. Die AfD ist eine konkrete Gefahr für sehr viele Menschen: für Migrant:innen, für die LGBTIQ+-Bewegung, für Menschen mit einem Handicap, für Linke – überhaupt für «Andersdenkende» und Demokrat:innen.
In sozialen Netzwerken wurde nun der Vergleich mit dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff gezogen. Der veröffentlichte 1985 sein Buch «Ganz unten». Der Journalist war in die Rolle des türkischstämmigen Leiharbeiters Ali Sinirlioğlu geschlüpft und schilderte seine Erfahrungen mit Rassismus. Das Buch verkaufte sich über fünf Millionen Mal. Auch hier: Keine neue Nachricht – aber die Inszenierung der Recherche führte zu einer emotionalen Solidarisierung mit den Betroffenen.
Viel zu lange hat die breite Gesellschaft tatenlos dabei zugesehen, wie Extremist:innen zu einer Normalität im Land wurden. Wo war der Ruck, als der NSU-Komplex aufgedeckt wurde, als der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Rechten hingerichtet wurde, als in Hanau neun Menschen mit Migrationsgeschichte von einem Nazi ermordet wurden? Dass viele nun ihr Schweigen aufgeben, ist ermutigend, reicht aber nicht. Es ist nur ein erster Schritt, der zeigt: Die demokratischen Reflexe funktionieren. Jetzt dürfen sie bloss nicht wieder einschlafen.