Die Deutsche Bahn hatte noch versucht, ihn vor Gericht zu kippen, aber ohne Erfolg: Der sechste Streik in der aktuellen Tarifauseinandersetzung zwischen dem DB-Konzern und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) legte heute den Personen- und Güterverkehr in Deutschland grösstenteils lahm. Der GDL geht es vor allem um eine schrittweise Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Dazu kommen Forderungen nach mehr Lohn, einer Inflationsprämie und Verbesserungen im Schichtdienst.
Zuletzt kam die Bahn zwar bei der Wochenarbeitszeit der GDL-Forderung etwas entgegen, stellte dafür aber das einzige garantierte freie Wochenende der Beschäftigten in Frage. Für die GDL ein Affront. Die Gewerkschaft reagierte mit neuen Kampfformen: Statt Arbeitsniederlegungen wie bisher einige Tage vorher anzukündigen, streikt sie nun mit kurzer Vorlaufzeit.
Vor diesem Hintergrund werden nun Forderungen laut, das in Deutschland ohnehin nicht sehr grosszügige Streikrecht einzuschränken: CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann schlug vor, es im Bereich der kritischen Infrastruktur zu beschneiden, Arbeitgebervertreter schlossen sich an. Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP will es gar grundsätzlich überprüfen. Denn: Nicht nur die Bahn wird derzeit regelmässig bestreikt, sondern auch der Flug- und der öffentliche Nahverkehr.
Der Eindruck, dass in Deutschland besonders viel gestreikt werde, trügt aber: Im internationalen Vergleich liegt das Land weiter im «hinteren Mittelfeld», wie der Gewerkschaftsforscher Stefan Schmalz im Gespräch mit der ARD-«Tagesschau» erklärte. Dennoch nimmt die Zahl der Streiks zu – vor allem seit der hohen Inflation. Bei Bahn- und Flugverkehrstreiks kommt hinzu, dass deren Auswirkungen nun einmal unmittelbar zu spüren sind.
Sich dessen bewusst zu sein und diese Macht lieber gezielt einzusetzen als faule Kompromisse einzugehen – das ist, was die GDL und ihren Vorsitzenden ausmacht. Claus Weselsky dürfte längst einer der bekanntesten Gewerkschaftsfunktionäre des Landes sein. Dabei gehört die GDL nicht dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) an, dessen Mitgliedsgewerkschaften in nahezu allen Branchen die Vorherrschaft innehaben. So auch bei der Bahn: Hier ist ihr Mitglied, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die mit Abstand grösste Vereinigung der Arbeiter:innen. Weil sie aber lange eine Politik des Komanagements betrieben hatte, konnte die – ironischerweise aus einer konservativ-christdemokratischen Tradition kommende – GDL sich ab 2006 in einigen Bereichen der Bahn als kämpferische Alternative etablieren.
Mit ihrer Geradlinigkeit ist die GDL auch manchen Kolleg:innen vom DGB ein Dorn im Auge, vor allem aber den Arbeitgebern und ihren Freund:innen in Politik und Medien. Unvergessen bleibt, wie die «Bild»-Zeitung 2014 Weselskys Telefonnummer veröffentlichte und ihre Leser:innen aufforderte, dem «Bahnsinnigen» die Meinung zu geigen. Der liess die Anrufe umleiten – zum damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn. Auch in der aktuellen Auseinandersetzung lassen viele Medien kein gutes Haar an Weselsky. In seiner Gewerkschaft aber geniesst er breite Unterstützung. Und ausschliesslich deren Mitgliedern, so betont er oft, fühle er sich verpflichtet.