Türkei: Rückt der Traum näher?

Als «Debakel für Erdoğan», «historische Pleite», gar als «Zeitenwende» bezeichnen internationale Medien den Ausgang der Kommunalwahlen in der Türkei vom Sonntag. Nicht nur die wichtigen Metropolen Istanbul, Izmir oder Ankara werden in den nächsten Jahren weiterhin von der republikanischen CHP regiert, auch zusätzliche Städte konnte die CHP für sich gewinnen. Sogar in einigen konservativen Hochburgen in ländlichen Gegenden hat sie der AKP überraschend Niederlagen zugefügt. Erdoğans Partei hat im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2019 8,6 Prozentpunkte verloren.

In manchen türkischen Städten wurde am Sonntagabend dann auch ausschweifend und euphorisch gefeiert. Insbesondere die Bilder aus Istanbul, wo der im Bürgermeisteramt bestätigte CHP-Politiker Ekrem Imamoğlu allmählich zum grossen Herausforderer Erdoğans heranreift, stimmen zuversichtlich.

Seit der Parlaments- und Präsidentschaftswahl vor zehn Monaten befand sich das Land in einer lähmenden Schockstarre. Auch viele der Künstler:innen und Intellektuellen, die sich ansonsten regelmässig gegen die autoritäre Regierung in Ankara ausgesprochen hatten, wurden bemerkenswert leise. Teile der Opposition sind in der Ära Erdoğans repressiv zum Schweigen gebracht worden, nach den letzten Wahlen kam dann auch politische Resignation hinzu. Es schien fast so, als hätte der junge und progressive Teil der Bevölkerung das Land aufgegeben. Dieser Eindruck wurde durch den Fakt verstärkt, dass es aktuell eine grosse Auswanderungsbewegung von jungen und gut ausgebildeten Menschen gibt. Diese wird auch hierzulande sichtbar: In der Asylstatistik 2023 des SEM liegt die Türkei auf dem zweiten Platz; mehr Asylanträge gab es lediglich aus Afghanistan.

Selbstverständlich wird sich in einem derart grossen und komplexen Land wie der Türkei nach einer landesweiten Kommunalwahl nichts schlagartig ändern. Dennoch: Darf nun wieder von einer pluralistischen, demokratischen und rechtsstaatlichen Türkei geträumt werden? Bis zum vergangenen Sonntag schien das in weiter Ferne. Doch nun machen die Resultate Hoffnung.

«Der 31. März ist für uns kein Tag der Niederlage, er ist ein Wendepunkt», sagte dann auch Erdoğan selbst bei seiner traditionellen Balkonrede in Ankara. «Wir werden den Willen der türkischen Nation auf keinen Fall missachten», kommentierte er die Verluste seiner AKP. Nachdem die Partei bei den Parlamentswahlen 2015 eine ähnlich herbe Niederlage hatte hinnehmen müssen, zeigte sich Erdoğan noch als schlechter Verlierer: Er setzte zu einer umfassenden Repressionswelle an.