Es gibt Schlimmeres
Es gibt Schlimmeres, als in einem Bunker zu wohnen.
Ich habe mich kaum getraut, diesen Satz hier aufzuschreiben. Etwas krümmt sich in mir, schämt sich und will sich wegdrehen. Ich habe diesen Satz auch noch nie gesagt. Ich finde ihn total daneben. Denn es ist schlimm, im Bunker zu wohnen, das erzählen mir dort Untergebrachte seit Jahren.
Aber: Es mag sich noch so viel in mir krümmen – falsch ist der Satz nicht. Es gibt Schlimmeres, als in einem Bunker zu wohnen. Sie brauchen nur die Zeitung zu lesen, um zu wissen, dass das stimmt.
Doch der Satz verweist auf mögliche Vergleiche, die aus meiner Sicht jenseits des Akzeptierbaren sind. Diese geflüchteten Menschen leben in der wohlhabenden Schweiz, im Land, in dem Mani Matter sang: «Dene, wos guet geit, giengs besser, giengs dene besser, wos weniger guet geit.» Das sind die Hintergrundfolien, die es aufzuspannen gilt, das sind die passenden Vergleichsgrössen!
Aber wer sagt, welche Vergleiche taugen? Es gibt erst mal nur eine Regel: Vergleichen setzt Gemeinsames voraus. Während ich hervorhebe, dass der Bunker und mein Haus im selben Land stehen, würde eine politische Gegnerin die gemeinsame Herkunft der Asylsuchenden mit ihren Landsleuten, die nicht geflüchtet sind, anführen: «Lieber im Bunker wohnen als unter Bombenhagel sterben, oder?»
Da können wir noch lange streiten!
Es gibt viele unangebrachte Vergleiche, aber noch häufiger sind jene, die die einen unangebracht finden, die anderen aber als gutes Argument ansehen.
Richtig unsicher werde ich erst, wenn ich selbst nicht mehr weiss, was anständig ist.
Kürzlich erzählte mir Hagos, dass ihm die besichtigte Wohnung nicht passe; da habe kein Klavier für seinen Sohn Platz. Ich musste laut lachen. Was träumt ihr schon vom Klavier! Alles ist besser als der Container, in dem ihr jetzt wohnt. Und es herrscht Wohnungskrise in Zürich. Ich fand seinen Anspruch lustig, leicht schräg, eigentlich fehl am Platz.
Aber kann ich jemanden für seine persönlichen Bezugsgrössen kritisieren, oder muss ich einfach akzeptieren, dass Menschen halt in unterschiedliche Richtungen schauen? Nach oben, nach unten, nach links, nach rechts …
Ein Bekannter hatte viel Geld verdient. Er kaufte sich ein Loft von 200 Quadratmetern und sagte dazu: «Ich brauche das einfach.» Als gäbe es kein Oben und Unten, nur das individuelle Bedürfnis: Lebe deinen Traum!
Kürzlich besuchte ich Peace in ihrer ersten eigenen Mietwohnung; sie lebte davor im Asylheim. Die Fensterscheiben sind grau von Abgaspartikeln, die vierspurige Autostrasse vor dem Wohnzimmer hinterlässt ihre Spuren. Peace stand in der Küche, zeigte mir alle ihre Küchenschränke und strahlte: «Ich fühle mich leicht wie ein Vogel!» Wie ein Vogel, der weiss, dass es Käfige gibt.
Immer freitags lesen Sie auf woz.ch einen Text unserer Gastkolumnistin Hanna Gerig. Gerig ist seit acht Jahren Koleiterin des Vereins Solinetz, der sich für geflüchtete Menschen im Raum Zürich einsetzt. Ihre Arbeit gefällt ihr sehr. Und doch fragt sie sich manchmal, was sie da eigentlich tut; warum sie und warum das.