Autoritäre Fantasien auf dem Rücken der Reitschule
Am Samstagabend ist der Vorplatz der Berner Reitschule voll, viele Ausgänger:innen stehen an für eine Clubnacht im Dachstock, gehen im «Rössli» ein und aus. Als Vermummte irgendwann oben an der Neubrückstrasse mit Flaschen gefüllte Container hinrollen und Barrikaden entzünden, regt sich beim Partyvolk: so ziemlich genau nichts. Viel Desinteresse und Ratlosigkeit gegenüber den «Aktivist:innen», die kurz darauf der Polizei gegenüberstehen. Unbeirrt davon schreiben die Leute der «Bezugsgruppe Sebastian Lotzer» einige Stunden später in einem Statement auf barrikade.info, sie hätten vor Ort «viel Zustimmung für die offensiven Aktionen» erhalten. Wirklich?
Erst gut vor einer Woche haben das Restaurant Sous le Pont und die Rössli Bar öffentlich um Hilfe gebeten. Um die Betriebe steht es finanziell schlecht. Angesichts dessen tun das, was in der Samstagnacht passiert ist, sowie die erwartbaren Reaktionen darauf umso mehr weh: Wenn nun Medien und Politiker:innen im ganzen Land von der «linksextremen Gewalt» sprechen, die «aus der Reitschule» gekommen sei, wenn nun Härte und Durchgreifen gefordert werden.
Denn die Aktion, so schreiben es die Reitschule-Betreiber:innen in einer Mitteilung vom Montag, kam nicht aus dem Haus und hatte mit ihnen rein gar nichts zu tun. «Der Anlass für die Aktion, zu deren Inhalten auch wir erst am Sonntag Informationen auf barrikade.info gefunden haben, wurde am Samstag Abend weder von uns Betreiber:innen, noch von unseren Gästen verstanden», heisst es im Schreiben.
Auf barrikade.info äusserte sich die «Bezugsgruppe Sebastian Lotzer» in zwei Mitteilungen am Sonntag sowie gestern Dienstag zu ihrer Motivation reichlich wirr: «Der Staat», heisst es da, habe sich in den letzten zwanzig Jahren «intensiv auf diese Phase der Krise vorbereitet» und nun «den permanenten Ausnahmezustand ausgerufen».
Ein Steilpass wiederum für den kantonalen Sicherheitsdirektor Philippe Müller, der in der NZZ ebendieses Statement als «wirr und zusammenhangslos» bezeichnen konnte – gleich im Anschluss aber ebenso frei fantasiert behauptete, die Mitteilung käme aus der Reitschule. Er fordert eine temporäre Schliessung und die Kürzung von Geldern für das Haus; der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause seinerseits fordert im «Blick» Videoüberwachung und eine Ausweitung der nachrichtendienstlichen Kompetenzen.
Vielen herzlichen Dank also, «Bezugsgruppe Sebastian Lotzer», für die eingebrockte Scheisse, herzlichen Dank dafür, dass sich Nause, Müller und Konsorten nun auf der nationalen Bühne unwidersprochen für ihre autoritären Fantasien, für mehr Überwachung und Repression aussprechen können. Riots? Vielleicht dort, wo sie berechtigt sind und etwas nützen. Die Reitschule auf jeden Fall hat die dummen Diskussionen, die nun auf ihrem Rücken ausgetragen werden, nicht verdient.