Was machen wir hier eigentlich?

Heute Abend bin ich zusammen mit meinem Kollegen wieder Gastgeberin. Die Leute kommen ins Kirchgemeindehaus, weil sie die verschiedenen Projekte von Solinetz kennenlernen möchten. Zwei Männer beim Eingang fallen mir sofort auf. Der eine ist gross und finster, der andere klein und muskulös. Sie blicken auf das Geschehen, als fänden sie die fröhliche Versammlung lächerlich. Wenn ich durch ihre skeptischen Augen in den Saal schaue, ist die Gemeinschaft zumindest weltfremd. So viel Gutmütigkeit ist verdächtig.

Die zwei Männer setzen sich nicht hin und behalten ihre Jacken an, die Hände in den Jackentaschen. Ich gehe auf die beiden zu und frage, wer sie sind.

Ich gehe an diesem Abend auf alle zu und frage, wer sie sind, schliesslich bin ich Gastgeberin. Meine Frage soll also nicht als Ausdruck des Misstrauens gedeutet werden, und trotzdem ist sie es.

Als sie mir ihre Namen sagen, erkenne ich sie: Sie sind abgewiesene Asylsuchende, die sich für eins der Projekte angemeldet haben. Sie sind heute Abend also gekommen, weil sie von uns eingeladen wurden. Ich ertappe mich dabei, nicht mit ihrem Erscheinen gerechnet zu haben.

Jetzt weiss ich auch wieder, wo sie wohnen, «untergebracht sind», müsste man sagen. Das Bild vom Bunker sehe ich gleich vor mir, wir protestieren seit Jahren gegen diese Zivilschutzanlage. Wir haben in den Medien Stellung genommen gegen die krankmachenden Lebensumstände unter Tag, gegen die unrechtmässige Kriminalisierung der Geflüchteten, die dort wohnen müssen.

Schnell machen die zwei Männer klar, dass sie nicht am Austausch mit einem Tandempartner interessiert sind, den das Projekt «Kombi» mit sich bringt. Sie brauchen ein eigenes Zimmer, sagen sie mir, als ich an ihnen vorbei kurz in die Kaffeeküche will, und einen Job, und sie möchten das ÖV-Abo, das alle Teilnehmenden erhalten. «Bekommen wir das Ticket schon heute?», fragen sie.

Ich verneine. Meinte ich wirklich, dass sie für den Anlass gekommen sind? Ich sage ihnen, dass der Austausch mit einem Tandempartner zentraler Bestandteil des Projekts sei, für das sie sich angemeldet haben. Es klingt wie eine Bedingung: Ticket gegen Bereitschaft zum Austausch, sozusagen.

Mir ist nicht wohl. Sollen sie ihr Ticket doch einfach so bekommen! Was bringt diesen mit allen Wassern gewaschenen Männern ein bisschen Austausch? Wem bringt der Austausch überhaupt etwas, wenn es ihm verschissen geht? Was machen wir hier eigentlich?

Und während der Gedanke, wir seien ungewollt paternalistisch, an mir zu nagen beginnt, sagt der Grosse zu mir: «Ich bin seit zwanzig Jahren nur im Bunker und im Gefängnis. Ich habe nichts zu erzählen. Ich war noch nie in den Bergen und so.»

Ich schaue ihn an. «Darum gehts nicht, alle haben etwas zu erzählen …», versuche ich zu erwidern. Aber meine Antwort bleibt in der Luft hängen. Und wenn er nicht vom Gefängnis und vom Bunker reden will?

Möchte er gerne mal in die Berge?

Ich gehe zurück in den Saal, wo die Leute an den Tischen miteinander sprechen.

Die beiden Männer bleiben draussen stehen und rauchen. Sie bleiben den ganzen Abend. Später, es ist fast Mitternacht, bekomme ich ein SMS: «Hey, war gut», schreibt mir der Grosse.

Immer freitags lesen Sie auf woz.ch einen Text unserer Gastkolumnistin Hanna Gerig. Gerig ist seit acht Jahren Koleiterin des Vereins Solinetz, der sich für geflüchtete Menschen im Raum Zürich einsetzt. Ihre Arbeit gefällt ihr sehr. Und doch fragt sie sich manchmal, was sie da eigentlich tut; warum sie und warum das.