Ich hege seit geraumer Zeit eine starke persönliche Abneigung gegen grosse Autos. Sie machen mir schlechte Laune und lassen mich am Vorhandensein jeglichen nicht nur ästhetischen Urteilsvermögens meiner Mitmenschen zweifeln. Als Bewohnerin eines Bergtals bin ich zum Glück ständig gezwungen, mich zurückzunehmen, zu relativieren und zu sehen, dass auch SUV-Besitzer:innen grossartige, herzensgute Menschen sein können, weil ja, ich weiss: Er ist Schreiner, sie ist Bäuerin, muss auf die Alp hoch und im Winter über den Pass.
Meine Abneigung gegen SUVs stellt mich aber eben vor ein weiteres Problem, das über die fürchterlichen Autos hinausgeht, nämlich dass ich mir eingestehen muss, dass ganz viele Leute, für deren Wohlergehen ich mich einsetze und denen ich ein besseres Leben von Herzen wünsche, sich sofort einen SUV kaufen würden, wenn sie denn könnten.
Wenn mich dieser was die Zukunft der Menschheit betrifft höchst desillusionierende Gedanke jeweils befällt, sage ich mir, dass es ja der Gipfel wäre, als GA-Besitzerin, die Armut nie kannte, zu verlangen, dass alle, welche die Armut endlich hinter sich lassen können, dann gleich auch noch umweltbewusst und links sein müssen.
Weil ich gut zuhören kann und gerade Menschen, die mit einem dringenden Anliegen zu mir ins Büro kommen, nicht zu einem Gesprächsthema überreden will, rede ich spontan gar nicht so oft mit geflüchteten Menschen über Asylpolitik: Wem würden sie ein Aufenthaltsrecht geben? Würden sie, wenn sie einen Pass bekämen, da ein drittes Geschlecht eintragen wollen? Sicher ist: Asylsuchende sind nicht automatisch für eine offene Asylpolitik, weil sie Asylsuchende sind. Aber um ehrlich zu sein: Von einer grossen schweigenden Mehrheit der Asylsuchenden weiss ich gar nichts über ihre politischen Ansichten.
Viele unter den wenigen, die politisch interessiert sind, sind einem politischen Kampf in ihrem Herkunftsland verpflichtet. Will ich geflüchtete Menschen als politische Subjekte ernst nehmen, dann muss ich mich auch diesen Kämpfen widmen. Was ist mit den Tamil Tigers? Der Unterdrückung der Belutsch:innen in Pakistan? Dem Konflikt in Tigray? Dem Kampf gegen die Taliban? Ich bekomme diese politischen Kämpfe geflüchteter Menschen nur am Rande mit. In einem spannenden Text über die «Willkommenskultur» las ich, dass die humanitäre Logik geflüchtete Menschen viel zu oft als defizitär, bloss als Opfer wahrnehme. «Solidarität hiesse», steht da, «das politische Anliegen des Gegenübers anzuerkennen.» Der Vorwurf traf einen wunden Punkt.
Ich bin schon eine Weile Teil der Asylbewegung und kenne viele Fallstricke und grosse und kleine Fettnäpfchen; ich bin in sie alle schon hineingetreten und trete auch weiterhin mit ganz viel Selbstreflexion und Sorgfalt zirka einmal pro Monat ins neuste hinein.
Immer freitags lesen Sie auf woz.ch einen Text unserer Gastkolumnistin Hanna Gerig. Gerig ist seit acht Jahren Koleiterin des Vereins Solinetz, der sich für geflüchtete Menschen im Raum Zürich einsetzt. Ihre Arbeit gefällt ihr sehr. Und doch fragt sie sich manchmal, was sie da eigentlich tut; warum sie und warum das.