Wenn die Staats- und Regierungschef:innen der EU-Mitgliedsstaaten sich heute zum Brüsseler Gipfel treffen, stehen dabei drei Personalien im Mittelpunkt: Ursula von der Leyen, die sich selbst als Präsidentin der EU-Kommission folgen soll, die Estin Kaja Kallas als aussen- und sicherheitspolitische Vertreterin sowie Antonio Costa. Der frühere portugiesische Premier soll europäischer Ratspräsident werden.
Im Vorfeld des Gipfels haben sich Regierungschefs von sechs Mitgliedsstaaten, darunter die Schwergewichte Deutschland und Frankreich, auf diese Formel für die Besetzung der sogenannten Top-Jobs geeinigt. Unterstützung bekommt sie von den drei grossen, pro-europäischen Fraktionen im EU-Parlament: der konservativen EVP, der sozialdemokratischen S&D und der liberalen Renew Europe.
Costa, Regierungschef in Portugal von 2015 bis 2023, ist in dieser Konstellation eine entscheidende Figur: seitens der Konservativen gab es kürzlich noch Widerstand gegen seine Ernennung. Grund ist das laufende Korruptionsverfahren um Lithium-Lizenzen, wegen dem er 2023 als Regierungschef zurücktrat. Costas Amtssitz und mehrere Ministerien wurden durchsucht, noch immer wird gegen ihn ermittelt, ohne dass er bislang offiziell als Verdächtiger erklärt wurde.
Dass er mit seinem neuen Amt politisch rehabilitiert wird, ist die persönliche Ebene der Personalie. Costa, der in Portugal als Einiger einer zerstrittenen Linken gilt und in Europa für sein diplomatisches Geschick und sein Vermögen, Kompromisse zu schliessen gerühmt wird, bekommt den Job, weil er, anders als sein Vorgänger Charles Michel, einen guten Draht zu Kommissionschefin von der Leyen hat und in der Runde der Regierungschef:innen an sich gut gelitten ist.
Dass es dabei um einen der sprichwörtlichen Brüsseler Hinterzimmerdeals geht, ist offensichtlich. Es lohnt sich freilich, ein wenig näher auf dessen Umstände zu schauen: geschnürt wurde das Top-Job-Paket nämlich ohne Beteiligung der teils rechtsextremen EKR-Fraktion, der etwa Giorgia Meloni angehört. Man kann darin ein gutes Zeichen sehen: Die EVP, die sich zuletzt in einem latenten Rechtsdrall der EKR annäherte, scheint gewillt, in den kommenden fünf Jahren europäische Politik auf die Basis von Mehrheiten mit demokratischen Parteien zu stellen.
Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt sich am Protest Melonis, die die europäische Entschlussbildung als «Oligarchie» beschimpfte – und an EVP- Chef Weber, der forderte Meloni in diese Prozesse miteinzubeziehen. Auf diese Art von Flügelkämpfen bei den Konservativen und ein entsprechendes Lavieren der EVP muss sich die EU in den kommenden Jahren einstellen.
Von progressiver Seite gilt es, voraussehbaren Manövern wie dem von Meloni nicht mit zusätzlichen Argumenten beizustehen. Dazu würde es gehören, das eigene Verhältnis zu EU-interner Transparenz und demokratischen Prozessen zu überdenken- und sich zu fragen, ob ein Mann wie Costa ungeachtet seiner Verdienste und Kapazitäten in der aktuellen Situation der geeignete Kandidat ist.