Gesundheit!
Ich bin ehrlich, mein psychisches Wohlbefinden war wohl noch nie so gefährdet wie heute. So oft habe ich den Eindruck, dass psychische Gesundheit einfach unvereinbar ist mit den aktuellen Geschehnissen, der brachialen politischen Stimmung und den individuellen Erfahrungen mit Frust, Resignation und Hilflosigkeit. Ich weiss, dass ich mit diesen Gefühlen nicht allein bin, und ich weiss, dass es Auswege gibt.
Es fühlt sich an wie ein Fiebertraum, der nicht enden will. In den USA wird Donald Trump erneut zum mächtigsten Mann der Welt gewählt, in Deutschland zerbricht die Ampelkoalition, und bei uns in Sachsen wird mit den «Sächsischen Separatisten» mal wieder eine extrem rechte Terrorgruppe hochgenommen. Unser CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, ein sogenannter Mann der Mitte, trifft sich derweil mit dem Boss der sächsischen AfD, Jörg Urban. Die Sondierungsgespräche mit dem BSW und der SPD sind offiziell geplatzt. Die CDU liebäugelt also mit der AfD.
Was das für Aktivist:innen wie mich, aber auch für Betroffene von Diskriminierung bedeutet? Vor allem Stress, Überarbeitung und eine Vielzahl von psychischen Belastungen. Die Zeit der Verschnaufpausen ist endgültig vorbei: Das Jahr begann mit Massenprotesten gegen die extreme Rechte, es folgten die Landtagswahlen in Ostdeutschland, und jetzt müssen wir uns noch irgendwie um zivilgesellschaftlichen Protest und Kampagnen bis zu den Neuwahlen im Februar 2025 kümmern – Burn-out-Gefahr auf Level 10 000.
Als wäre all das nicht genug, fallen uns dann noch die Klimakrise und der deutsche Verfassungsschutz in den Rücken, der die Entscheidung darüber, ob die gesamte AfD offiziell als rechtsextrem eingestuft wird, bis nach den Wahlen vertagt. Ein erfolgreiches AfD-Verbotsverfahren wird damit unrealistischer – uns rennt die Zeit davon. Und wenn einem die Zeit davonrennt, dann ist das mit dem «Mach mal mehr Pausen» häufig so verdammt viel leichter gesagt als getan. Warum genau das trotzdem wichtig ist, merkt man dann spätestens, wenn man angeschlagen mit einer Erkältung im Bett liegt.
Auch wenn ich das selbst noch lernen muss: Macht Pausen, sucht euch professionelle Unterstützung, und macht euch bewusst, dass ihr mit dem psychischen Struggle nicht allein seid! Es ist okay, Sachen abzusagen. Es ist okay, schlecht drauf zu sein. Es ist okay, sich Hilfe zu holen. Wenn wir es als antifaschistische und soziale Bewegung dann noch schaffen, weniger nachrichtenbezogen, sondern strategischer und langfristiger zu arbeiten, dann sehe ich Licht am Ende des Tunnels. Auch in – man kann es nicht anders sagen – beschissenen Zeiten.
Jakob Springfeld (22) ist eines der Gesichter der linken Gegenöffentlichkeit Ostdeutschlands. Sein 2022 erschienenes Buch «Unter Nazis» trägt auch deshalb den Untertitel «Jung, ostdeutsch, gegen Rechts». In seiner wöchentlichen Kolumne berichtet er bis zum Jahresende jeweils freitags aus seiner Lebensrealität als antifaschistischer Aktivist in Sachsen.